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Yes, Baby!
Aktivisten von »Our Revolution« klopfen in Atlanta in armen Nachbarschaften an die Haustüren
»Nachdem Obama gewählt wurde, sind wir nachlässig geworden, wir haben geschlafen, dachten, dieses Land sei vielleicht nicht so rassistisch, wie es ist«, sagt Jeff Corkill, als er sein Auto in Bewegung setzt. Damit das nicht noch einmal passiert, geben er, seine Frau und Tausende Freiwillige im Land in den letzten Tagen vor den Zwischenwahlen noch einmal alles. Sie klopfen persönlich an Amerikas Haustüren, auch in Dekalb County im Norden von Atlanta. Heute fahren sie nach Doralville. »Hier bekommst du das beste internationale Essen«, erzählt der Lehrer, als wir über den Buford Highway fahren.
Das Viertel nordöstlich der Innenstadt von Atlanta, am Ende der »goldenen« U-Bahn-Linie der Stadt, ist nicht mehr richtig urban, aber auch noch kein Vorort. Unter hohen Pinienbäumen dominieren hier kleine Holzhäuser. Sie zeigen: Die Nachbarschaft ist nicht wohlhabend. »Wir sind hier, weil diese Nachbarschaft ethnisch sehr gemischt und eher arm ist, viele Menschen hier wählen oft nicht, sie haben sich schon lange vom System abgewandt, denken, ihre Stimme zählt nicht«, erzählt Tracy Prescott. Die Tierärztin nimmt sich dieser Tage öfter frei oder macht früher Feierabend, um die Kandidatin der Demokraten für den Gouverneursposten von Georgia sowie die demokratischen Kandidaten für andere Ämter im Bezirk zu unterstützen.
Ihr Mann ist Aktivist beim lokalen Ableger von »Our Revolution«, dem Kampagnenapparat von Bernie Sanders. Seit dessen Vorwahlniederlage im Jahr 2016 unterstützt »Our Revolution« progressive Kandidaten im ganzen Land. Direkt nach der Wahl 2016 kamen rund 30 Menschen zu den Treffen, später war es nur noch ein Dutzend, doch mit einem konkreten Projekt und vor den Zwischenwahlen meldeten sich plötzlich wieder deutlich mehr, erzählt der Lehrer. »Allein in Dekalb County waren in den letzten Wochen Hunderte Freiwillige unterwegs, wir haben sie uns gegenseitig zugeschoben«, erklärt Corkill die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen der Demokraten und Aktivistengruppen.
Doralville liegt am unteren Rand des sechsten Kongresswahlbezirks von Georgia. In dessen südlichem urbaneren Teil nahe der Innenstadt von Atlanta gibt es relativ viele Afroamerikaner. Im Norden - der größere Teil des Bezirks - wohnen eher wohlhabende Weiße. Es ist einer der Sitze, die meist an die Republikaner gehen, dieses Jahr aber umkämpft sind.
Der Bezirk war 2017 im Zuge einer Nachwahl Schauplatz des ersten großen Kräftemessens zwischen Trumps Amerika und einer wütenden Demokratenbasis - und wurde zum teuersten Kampf um einen Sitz im Repräsentantenhaus in der US-Geschichte. 2016 lagen die Durchschnittsausgaben für solch einen Wahlkampf bei 1,3 Millionen US-Dollar. Letztes Jahr aber gaben die Kandidaten und sogenannte Super Pacs in dem Stellvertreterkampf um den Bezirk insgesamt 47 Millionen Dollar aus. Mit 51,8 zu 48,2 Prozent setzte sich die Republikanerin Karen Handel gegen ihren demokratischen Gegner durch. Ihr Vorsprung betrug rund 9000 Stimmen.
Nun tritt in »Georgia 6«, wie der Wahlbezirk heißt, Lucy McBath für die Demokraten an. Sie ist eine von 260 Kandidaten im ganzen Land, denen Ex-Präsident Barack Obama seine Unterstützung ausgesprochen hat. Der Bezirk, den die Analysten des »Cook Political Report« als umkämpft einstufen. Bisher stuften sie ihn als »Republican Leaning« ein, also eher republikanisch, heute änderten die Analysten ihre Bewertung auf »tossup« - unentschieden. Der Bezirk steht auch auf der »Red to Blue«-Angriffsliste von 92 Wahlkreisen, in denen das Kongress-Wahlkampfkommittee der Demokraten versuchen will, den Republikanern einen Sitz abzujagen. »Georgia 6« ist einer von Amerikas Vororten, in denen die Wahl entschieden wird.
Die erste Umfrage von Anfang Oktober sah McBath vier Prozent hinter Handel. Eine zweite sah die Demokratin Ende Oktober drei Prozent vorne - bei beiden Erhebungen lag der Vorsprung im Fehlerbereich der Umfrage. Die Republikanerin Handel hat Spenden im Wert von 8,3 Millionen Dollar eingeworben, McBath »nur« 1,7 Millionen. Die Demokraten versuchen mit Freiwilligen wie Jeff Corkill und Tracy Prescott gegen die Macht des Geldes anzukommen.
Für Prescott sind die »Get Out The Vote«-Mobilisierungsaktionen in den vergangenen Tagen auch sehr persönlich geworden. Sie ist Jüdin. In ihrer Nachbarschaft im nahe gelegenen Tucker verteilten Ku-Klux-Klan-Aktivisten Ende Oktober Rekrutierungsflyer. »Auch auf dem Kinderspielplatz haben Sie die Flyer verteilt«, empört sie sich. Prescott glaubt, die Aktion sei auch als Einschüchterung gedacht gewesen, um Leute vom Wählen abzuhalten. Sie hält mit ihrem Mann dagegen - so gut sie kann.
Das tut dieses Jahr auch der prominenteste Demokrat des Landes: Barack Obama. Vor vier Jahren noch hielt er sich weitgehend zurück. Nun reist er seit Anfang September durchs ganze Land, um für die Demokraten zu trommeln. Während Donald Trump landesweit Großkundgebungen für republikanische Kandidaten abhält, stellen die Demokraten ihren Star Obama dagegen. Vor Tausenden jubelnder Anhänger duelliert er sich dieser Tage mit ironischer Lässigkeit und mahnender Verve mit seinem virtuellen Gegner. Bei seinem Auftritt am Morehouse College in Georgia am Freitag war die Sehnsucht unter den Zuhörern nach dem perfekten Gegenbild zu Trump zu spüren.
»Von der Sklaverei über die Bürgerrechtsära bis heute: Immer wenn wir einen Fortschritt erkämpfen, schlägt der Status Quo zurück«, so Obama vor einer andächtig lauschenden Menge. Dann bricht sie immer wieder in ohrenbetäubenden Jubel aus, wenn der Ex-Präsident sagt, was seine Fans hören wollen. Dass Amerika »besser« sein könne: »Jammert nicht, buht nicht, geht wählen, schreibt Geschichte, wählt Stacey Abrams zur Gouverneurin und wählt alle Demokraten auf dem Wahlzettel!« Und: »Nehmt eure Freunde mit zur Wahl«, feuert Obama die Menge an.
Auf den Straßen von Doralville nutzen Jeff Corkill und Tracy Prescott kein Mikrofon, sondern ihr Smartphone. Während sie durch die Nachbarschaft gehen, gucken sie auf die Bildschirme, um die »Liste« abzuarbeiten. »Den Großteil haben wir schon vor ein paar Tagen erledigt«, erklärt Corkill, während er konzentriert auf die Karte seines Handys schaut, die ihn zur nächsten Haustür lotst.
Eine ältere schwarze Frau steckt ihren Kopf aus ihrem Haus, um zu sehen, wer da an ihre Tür klopft. Die Frau habe schon länger nicht gewählt, sagt die App. Ob sie Stacey Abrams kenne, fragt Prescott die Seniorin. »Ja, ja, ich habe sie im Fernsehen gesehen«, antwortet sie. Dann erzählen die Aktivisten, wie wichtig es gerade in diesem Jahr sei, die Demokraten zu wählen und dass Abrams kurz davor stehe, als erste schwarze Frau im Land Gouverneurin zu werden. Sie fordern die Frau auf, alle Kandidaten der Demokraten bis hinunter zum »Schulintendanten« zu wählen. »Yes, Baby, das werde ich tun«, verspricht die Frau anschließend in breitem Südstaatenakzent.
Oft steht nur ein Name, ein Alter auf den Smartphones der beiden Wahlkampfhelfer, manchmal auch, ob es sich um Schwarze, Latinos oder Weiße handelt - und ob ein Wähler überzeugter Demokrat ist, der Partei zuneigt oder ein Unabhängiger ist. Doch oft heißt es nur: »no data«. Bei mehreren Adressen macht niemand auf, zum Teil sprechen die Menschen kein Englisch, oder neue Anwohner sagen, die Vormieter seien verzogen. Prescott hinterlässt dann einen Flyer mit einer kurzen, handgeschriebenen Botschaft und korrigiert die Daten auf ihrem Smartphone. MiniVan heißt die App, mit der die Partei die Arbeit von Aktivisten auf der niedrigsten Ebene der Wählermobilisierung und die Arbeit Tausender Wahlkampfhelfer für die Demokraten koordiniert.
Elf »Field Offices« haben die Demokraten in Georgia, sie koordinieren die Einsätze der Freiwilligen, verteilen Material und organisieren Veranstaltungen. Abrams und ihre Partei müssen den traditionellen Stimmenvorteil der Republikaner im größtenteils ländlichen und eher konservativen Georgia wettmachen. Der zeigte sich wieder bei den Vorwahlen im Sommer. Alle Kandidaten der Demokraten für den Gouverneursposten erhielten zusammen 555 000 Stimmen, die der Republikaner dagegen 585 000. Wie die gesamten Vereinigten Staaten ist auch Georgia extrem polarisiert, kurz vor den Wahlen kommen die Anhänger der Parteien »nach Hause«, wirkliche Unabhängige, die nicht zumindest einer Partei zuneigen, gibt es nur noch sehr wenige, laut Meinungsforschern liegt ihre Zahl im unteren einstelligen Bereich.
Um den Stimmenvorteil der Republikaner auszugleichen, setzen progressive Demokraten wie Abrams deswegen nicht nur darauf, die klassischen Unterstützer der Demokraten zu aktivieren, sondern versuchen auch diejenigen zu mobilisieren, die schon lange nicht mehr gewählt haben oder vielleicht zum ersten Mal wählen dürfen. Die afroamerikanische Community in der Schwarzen-Metropole Atlanta und die im historischen »Black Belt«, dazu liberale Weiße und College-Studenten in den Universitätsstädtchen des Staates sind Abrams’ Wähler. Dazu kommen neue Einwohner, die erst seit wenigen Jahren in dem Bundesstaat wohnen, der immer diverser wird, durch Migranten aus Asien und Latinos.
Als Corkill und Prescott die Auffahrt zum Häuschen von Juan hoch laufen, ist der offensichtlich gerade erst von der Arbeit gekommen, seine Kollegen hantieren mit Werkzeug auf einem Truck. »Wirst du wählen gehen am 6. November«, fragt die Tierärztin. Der Mittzwanziger ist sich sehr unsicher, mit Wählen kennt er sich nicht aus. »Dein Wahllokal ist gleich die Straße hoch in der Schule, laut unseren Daten bist du registriert«, ermutigt Prescott den jungen Mann, der seine Registrierung vermutlich mit dem Erhalt seines Führerscheins bekommen hat. Er freut sich, das sich jemand die Mühe macht, an seine Tür zu klopfen und nimmt den Flyer mit den Kandidaten der Demokraten dankbar an. Nach kurzer Diskussion tritt auch sein Bruder hinzu. Ob er vielleicht auch wählen könne?
Viele Migranten und Latinos seien »sehr verunsichert« und würden aus Angst vor der Abschiebung etwa von Angehörigen nicht wählen gehen, weil jeder Behördenkontakt ein Risiko ist, meint Corkill. Die Abschiebebehörde ICE des Department of Homeland Security verhaftet Migranten mittlerweile vor ihren Häusern, in Schulen und Gerichtsgebäuden. »Wir haben Häuser gesehen, vor denen standen mehrere Autos. Dann klopfst du an die Tür und fragst nach einer Person, und dann antwortet dir jemand: ›Er ist nicht da, aber ich werde ihm die Information weitergeben‹«, erzählt Corkill, als er zur Nachbarin von Juan weiterzieht. Die ältere Frau ist Demokratin, seit Jahrzehnten schon, und zeigt das stolz mit einem Schild für Stacey Abrams in ihrem Vorgarten. Sie verspricht den beiden Aktivisten, ihre Nachbarn am Wahltag mit ins Wahllokal zu nehmen.
Die Recherche für diesen Text wurde mit Mitteln der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziert.
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