- Politik
- JVA in Kleve
Viele offene Fragen im Fall Amed A.
Für Ermittler ist der Asylbewerbers in der JVA Kleve durch Suizid zu Tode gekommen / Bericht über Ereignisse am Mittwoch erwartet
Es ist eine Tragödie, die sich am 17. September in der Justizvollzugsanstalt Kleve abgespielt hat: In der Zelle von Amed A., der zu Unrecht inhaftiert war, brennt es. A. wird zwölf Tage später an seinen Brandverletzungen sterben. Ein junger Migrant, gestorben an einem Brand in einer Zelle. Vergleiche zu dem dem Asylbewerber Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeiwache starb, liegen auf der Hand.
Doch der Fall von A., er ist offensichtlich komplizierter. Eine Kette aus Fehlern, Ignoranz und Nachlässigkeit könnten zu seinem Tod geführt haben. Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU), der in den vergangenen Wochen stark unter Druck geraten war, versucht nun den Befreiungsschlag. Am Mittwoch möchte er dem Rechtsausschuss im Düsseldorfer Landtag einen 63 Seiten dicken Bericht zum Fall Amed A. vorlegen. Der Bericht, der sämtliche Erkenntnisse bis »Montag, den 5. November 2018, 9:37 Uhr« beinhaltet, enthält ausführliche Schilderungen des Klever Oberstaatsanwalts und einen »Randbericht« des Generalstaatsanwalts Düsseldorf. Minutiös werden die bisherigen Ermittlungsschritte und Erkenntnisse geschildert.
Die wichtigste Erkenntnis in Biesenbachs Bericht: Amed A. soll sich selbst umgebracht haben. Andere Erklärungen haben weder die Polizei noch ein externer Brandsachverständiger parat. Auf dem Bett im Haftraum von A. sei das Bettzeug zu einem »Nest« zusammengehäuft worden. Dieses Nest sei, möglicherweise mit Hilfe einer Rolle Toilettenpapier, angezündet worden. Dass der Brand zufällig, zum Beispiel durch die Glut einer Zigarette entstanden sei, könne man ausschließen, so die Ermittler.
Um 19:19 Uhr - etwa 15 bis 20 Minuten nach Entstehung des Brandes - hat sich Amed A. über die in seiner Zelle angebrachte Gegensprechanlage bei einem Justizbediensteten gemeldet. Dieser habe gesagt, dass er noch ein Telefonat führen müsse. Ob er A. überhaupt angehört hat, ist bislang unklar. Wenige Minuten später erfolgt ein Anruf bei der Feuerwehr, immer mehr Häftlinge hatten sich über den Rauch beschwert. Als die Zelle von A. geöffnet wird, taumelt er einem Justizbediensteten entgegen.
Stefan Engstfeld, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, hält die zeitlichen Abläufe des Brandes für »nach wie vor völlig unklar«. Der Abgeordnete fragt außerdem: »Hat sich Amad A. wirklich erst nach über 15 Minuten nach Ausbruch des Brandes bemerkbar gemacht?«
Eine der schwerwiegendsten von vielen offenen Fragen im Zusammenhang mit dem Tod von A.. Weiterhin ungeklärt ist auch, wie es soweit kommen konnte, dass er über zwei Monate in der JVA einsaß, nur weil er verwechselt worden war. Licht ins Dunkel, warum A. mit einem Mann aus Mali verwechselt wurde, bringt der Bericht des Justizministers nicht. Engstfeld bezeichnet die Umstände der Verwechslung als »nebulös«.
Zur Aufklärung beitragen könnte NRW-Innenminister Herbert Reul. Doch in einem Bericht seines Ministeriums heißt es auf Fragen, wie die Personalien abgeglichen wurden, meist: »Eine Beantwortung der Frage ist mit Blick auf das aktuell anhängige Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kleve sowie die eingeleiteten Disziplinarverfahren aktuell nicht möglich.« Gegen mehrere Polizisten, die an der Verhaftung von Amed A. beteiligt waren, wird wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung ermittelt. Sie hatten, so viel erklärt Reul zumindest, nur die »Alias-Personalien« des Mannes aus Mali überprüft. Diese stimmten mit denen von A. überein. Eine Überprüfung der eigentlichen Personalie, die auch Daten wie den Geburtsort beinhaltet, unterblieb offensichtlich.
Unterdessen gibt es in der JVA noch viel aufzuarbeiten. Wurden Suizidgedanken, die Amed A. geäußert hatte, nicht ernst genommen? Hätte eine Anstaltspsychologin eingreifen müssen, als ihr A. erzählte, dass es sich bei seiner Inhaftierung um eine Verwechslung handeln muss? Wieso hat sich der Anstaltsarzt aufgrund des labilen psychischen Zustands von A. nicht für eine Beobachtung des Mannes ausgesprochen? Gegen den Mediziner wird wegen des Verdachts der Tötung durch Unterlassen ermittelt.
Zahlreiche Fragen, die noch geklärt werden müssen. Engstfeld glaubt, die Aufklärung wäre ohne den Druck der Opposition noch schleppender verlaufen. Der Bericht von Minister Biesenbach sei »ein Dokument voller Fragezeichen«. Der Grünen-Abgeordnete ist sich sicher, »eine angemessene und transparente Aufklärung dieses tragischen Polizei- und Justizskandals« könne nur ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss bringen.
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