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  • Sächsisches Polizeigesetz

Bürger unter Generalverdacht

Bündnis plant Aktionswoche gegen neues sächsisches Polizeigesetz / LINKE kündigt bereits Verfassungsklage an

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Autoren des neuen sächsischen Polizeigesetzes haben sich gewissermaßen bei den Klassikern bedient. In Paragraf 4 definieren sie den Begriff der öffentlichen Ordnung. Es handle sich um die »Gesamtheit der (...) ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens betrachtet wird.« Diese Formulierung, sagt Enrico Stange, stand schon 1931 in einem preußischen Polizeigesetz. Viele Fragen stellten sich damals wie heute: Wer sagt, welche »ungeschriebenen« Regeln gelten? Welche Anschauungen sind die »jeweils herrschenden«? »Für Freunde des feinsinnigen Humors«, sagt Stange, der Innenexperte der LINKEN im sächsischen Landtag, »ist da viel drin.«

Freilich: Vielen derer, die sich mit dem Gesetzentwurf des CDU-geführten Innenministeriums befassen, vergeht jeder Humor schnell. Kurz vor der parlamentarischen Anhörung des Gesetzes, die am Montag im Dresdner Landtag stattfindet, warnte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International vor einem »Generalverdacht«, unter den das Gesetz einen Großteil der Bevölkerung stelle. Die Organisation äußerte »gravierende menschenrechtliche Bedenken«. Ähnlich fundamentale Kritik meldet ein Bündnis »Polizeigesetz stoppen« an, das rund um die Anhörung eine Aktionswoche veranstaltet. Geplanter Höhepunkt: eine Demonstration am kommenden Samstag in Dresden. Die Oppositionsfraktionen LINKE und Grüne haben den Entwurf bereits in Bausch und Bogen abgelehnt. Stange kündigt an, man werde »alles daransetzen, das Gesetz verfassungsrechtlich zu Fall zu bringen«.

Sachsen steht in einer langen Reihe von Ländern, die derzeit ihre Polizeigesetze verschärfen: Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, Niedersachsen und Bayern. Gemeinsam mit dem CSU-geführten Freistaat hatte Sachsen ursprünglich ein bundesweit geltendes Musterpolizeigesetz angestrebt. Das scheiterte zwar. Dennoch sucht man nun im Gefolge des im Mai 2018 im Bund geänderten BKA-Gesetzes auch die Befugnisse für die Polizei in den Ländern zu erweitern.

Sachsen kann dabei nicht ganz so weit gehen wie Bayern: Manche Befugnisse, die auf Wunschzetteln der CDU-Innenpolitiker standen - etwa Online-Durchsuchungen oder die so genannte Quellen-TKÜ - waren mit dem Koalitionspartner SPD zumindest bisher nicht umzusetzen. Doch auch die jetzt fixierten Neuerungen haben es in sich. So darf intelligente Videoüberwachung in einem 30 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien erfolgen, was faktisch ein Drittel der Landesfläche trifft. Martialisch wirkt die Möglichkeit, Polizeieinheiten mit Maschinengewehren und Handgranaten auszurüsten.

Kritiker verweisen aber auch auf andere Punkte, etwa die Möglichkeit zu 14-tägigem Präventivgewahrsam selbst bei schweren Ordnungswidrigkeiten. Stange nennt auch Aufenthaltsanordnungen, die ohne Richtervorbehalt erfolgen und mit Meldeauflagen verbunden werden können. Das sei ein »tiefer Eingriff in die Freizügigkeit«. Generell sei das Gesetz geprägt vom »Gefährderansatz«. Die Maßnahmen richten sich dabei nicht nur gegen Personen, die im Verdacht stehen, terroristische Straftaten zu planen. Amnesty International verweist darauf, dass auch Personen ins Visier geraten, bei denen »Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie innerhalb absehbarer Zeit eine (...) Straftat von erheblicher Bedeutung« begehen. Welche Annahmen das sein müssen und wer sie trifft, bleibt offen. »Es wimmelt von unbestimmten Rechtsbegriffen« sagt Stange. Amnesty kritisiert »vage Definitionen«.

Freilich: Der Protest gegen das Gesetz, das nach dem Willen der Koalition im Frühjahr 2019 - und damit ein halbes Jahr vor der Landtagswahl - beschlossen werden könnte und im Januar 2020 in Kraft treten soll, ist in der Öffentlichkeit bisher weitgehend auf Fußballstadien beschränkt, wo Fans der Zweitligisten Erzgebirge Aue und Dynamo Dresden wiederholt Banner zeigten. Auch Flyer-Aktionen gab es: »Du darfst mit deinen Freunden nicht mehr zum Dynamo-Spiel«, hieß es auf einem Handzettel unter Verweis auf geplante Aufenthalts- und Kontaktverbote. Einen gegen das Gesetz gerichteten Aufruf des Aktionsbündnisses haben neben dessen 31 Mitgliedern und 40 weiteren Organisationen binnen eines Monats immerhin 870 Menschen signiert.

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