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Ein Sozialismus wie Craft Beer
Der Hype um die neue US-amerikanische Linke am Beispiel der Zeitschrift »Jacobin«.
In den USA, Homebase des neoliberalen Kapitalismus, regiert ein Präsident, der gerne mit Faschisten schunkelt. Kann man da Erfolg haben mit einer linken, irgendwie marxistischen Theoriezeitschrift? Den Beweis tritt seit Jahren das New Yorker Vierteljahresmagazin »Jacobin« an, das mit kapitalismuskritischen, von oft jungen Autoren verfassten Texten mittlerweile 35 000 Ausgaben verkauft.
2015 berichtete »nd« erstmals über »Jacobin«. Damals verkaufte sich das Heft erst 7500 Mal. Dass die Auflage seither explodiert ist, bezeugt ein amerikanisches Bedürfnis nach einer Kritik am regressiven Neoliberalismus des Donald Trump, die über einen progressiven Neoliberalismus Marke Clinton hinausgeht. Und als Bashkar Sunkara, der »Jacobin« 2010 gegründet hat, anno 2013 nach der Bundestagswahl in »nd« schrieb, die Linkspartei sei besser »als alles, was die nordamerikanische Linke in einem ganzen Jahrhundert« hinbekommen habe, war er noch ein Unbekannter. Heute aber gilt sein Magazin, das jüngst in »Ada« einen deutschen Onlineableger gestartet hat, auch in Europa als wichtige Stimme – und das politische Spektrum, für das es steht, durchaus als Vorbild.
Worum also geht es hier? Sunkara schreibt sich selbst ein »Amalgam aus intellektuellem Marxismus und eher sozialdemokratischem Empfinden« zu. Er war schon Vizevorsitzender der Demokratischen Sozialisten Amerikas (DSA), einer linken bis linksradikalen Unterströmung der Demokratischen Partei – der Bernie Sanders übrigens nicht angehört, auch wenn er oft vom Demokratischen Sozialismus spricht. 2017 sind die DSA aus der Sozialistischen Internationale ausgetreten, zu der etwa die SPD gehört: Sie sei zu neoliberal. Die Mitgliederzahl ist binnen zwei Jahren von 5000 auf gleichfalls 35 000 gestiegen, bei den amerikanischen Halbzeitwahlen in dieser Woche traten rund 40 Kandidatinnen und Kandidaten auf DSA-Tickets an.
Ein Heft als Bewegung
Auch wenn sich an der Urne längst nicht alle Hoffnungen erfüllt haben – die DSA-Kandidatin für das Gouverneursamt in Georgia, Stacy Abrams, hatte ihre als hauchdünn hochgerechnete Niederlage bis Redaktionsschluss nicht eingeräumt –, ist das Fazit positiv. Künftig haben die DSA mit Alexandria Ocasio-Cortez, die in New York einen Kantersieg feierte und als jüngste Kongressabgeordnete nach Washington zieht, eine telegene Frontfrau. Erfolge gab es auch in Bundesstaats- und wichtigen Lokalparlamenten: »Langsam aber sicher bewegen sich die Dinge in unsere Richtung«, schrieb dieser Tage Branko Marcetic in »Jacobin«. Und Sunkara sah schon vorher die Zeit gekommen, »die Linken zum gemeinsamen Handeln aufzurufen und die Verschmelzung der vielen sozialistischen Organisationen mit ähnlichen politischen Ausrichtungen zu einer größeren Einheit ins Auge zu fassen«. Die Macht in Washington peile er für 2036 an, lachte er in einem Interview.
»Jacobin« ist nicht die Mitgliederzeitung der DSA. Doch besteht zwischen Heft und Bewegung so viel Nähe, dass sich Letztere in Ersterem studieren lässt. Und dazu muss man sich mal nicht mehr um Post aus den USA bemühen. Im Sommer hat Suhrkamp eine Anthologie mit einem Dutzend längerer Texte herausgebracht, die »Jacobin« seit 2010 veröffentlichte. Das ist nicht das erste Mal, dass sich der führende deutsche Intellektuellenverlag mit linken Periodika aus New York befasst – Texte aus »n+1« haben sogar schon zwei Sammelbände gefüllt. Bemerkenswert ist aber: Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat »Jacobin« nur rund doppelt so viele Abonnements wie etwa die traditionsreiche linke Monatszeitung »Analyse und Kritik«. Doch obwohl sich die Blätter so fern nicht stehen, müssen die Hamburger ihre Textsammlungen selbst besorgen, aktuell etwa den Band zur »neuen Klassenpolitik« im rechtschaffenen, aber unglamourösen Bertz+Fischer-Verlag.
Star Trek und Earl Grey
Was macht »Jacobin« so furchtbar interessant? Einmal ist da ein bestimmter Sound, etwa der des New Yorker Autoren Peter Frase. Er erläutert seine Thesen mit Beispielen aus Fernsehserien wie »Star Trek«, etwa anhand der ausgeprägten Vorliebe für Earl-Grey-Tee von Raumschiffkapitän Jean Luc Picard – oder anhand eines Science-Fiction-Films mit dem Ex-Teeniestar Justin Timberlake. Dieser Popkulturtonfall zu ernsten Dingen ist zwar nicht neu, sondern erinnert an den Vielschreibphilosophen Slavoj Žižek, der schon vor Jahren Probleme der Hegelexegese gern mit Szenen aus Filmen wie »Alien« oder »Matrix« veranschaulichte. Doch dürfte dieser etwas ironische Stil zur Attraktivität von »Jacobin« beitragen – für das eigene Publikum nicht weniger als für den deutschen Verlag.
Daneben stehen freilich Texte, die recht ernste Töne anschlagen – etwa ein längeres Gespräch mit Walter Benn Michels, dessen Thesen in den USA zu heftigen Kontroversen geführt haben. Für ihn ist der Antirassismus Bestandteil neoliberaler Ideologie, insofern er einen Dauerdiskurs über soziale Gerechtigkeit produziert, der ökonomische Ungleichheit konsequent ausblendet. Wie andere Anti-Diskriminierungsdiskurse diene er »nicht dem Widerstand gegen oder auch nur der Kritik am Kapital, sondern dessen Legitimierung«.
Neben solchen pointierten Kritiken von »Identitätspolitik« steht etwa ein Text von Keeanga-Yamahtta Taylor über antirassistische Kämpfe, der »die Geburt einer neuen schwarzen Linken« weniger mit Trump als Obama verbindet: Dessen Regierung, zunächst euphorisch als Vollendung schwarzer Anerkennungskämpfe gefeiert, habe zu der Ernüchterung geführt, dass auch »ein schwarzer Präsident das Elend von Millionen schwarzen Menschen« beaufsichtigen kann. Folglich sei »der Apparat, der zur Unterdrückung der Schwarzen eingesetzt worden war«, für deren Befreiung untauglich. Dies mache klar, dass »die Schwarzen in Amerika nicht allein ›frei werden‹ können«, sondern nur in einem breiteren Projekt »gesellschaftlicher Transformation« – in einem, das nicht zuletzt an der Herstellung und Reproduktion ökonomischer Ungleichheit ansetzt.
Überhaupt geht es viel um Ökonomie. So arbeiten sich gleich zwei Texte an der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft ab, um etwa zu überprüfen, ob die Grenznutzentheorie mit Marx verschweißt werden könne. Oder es werden Perspektiven einer Vergesellschaftung des Finanzsystems diskutiert.
Wer nun denkt, schon dies sei oldschool, lese den Text von Sam Gindin. Unter anderem schreibt der langjährige Leiter der Forschungsabteilung der Canadian Auto Workers Union, es gebe zwar »viele Formen von Unterdrückung, die nicht ignoriert werden dürfen«, doch sei die »Klassenunterdrückung vorrangig«, weil sie auf jegliche Subordinierung mitgestaltend einwirke. Mit Verve widerspricht er der These, die Staaten hätten in der »Globalisierung« als Kampfarenen ausgedient. Unter Berufung auf das Kommunistische Manifest hält er dagegen, dass politischer Kampf »international in der Substanz«, aber »national in der Form« funktioniere. Man müsse »über die partikularistischen Anliegen von Identitäten und Gewerkschaften« hinausgehen und Klassenkampf als »umfassendere und kohärentere Politik« führen. Auf diesen derzeit auch hierzulande heiß diskutierten Punkt stößt man in den – vornehmlich von weißen Männern geschriebenen – Texten immer wieder.
Auf einen Nenner bringen lässt sich das alles zwar kaum. Doch unter dem Strich bleibt eine vielleicht etwas überraschende Erkenntnis: Das hippe Ding aus den Staaten ist zwar frisch verpackt, inhaltlich aber oft altvertraut. Es klingt zumindest streckenweise – horribile dictu? – eher nach Sahra Wagenknecht oder IG Metall als nach all dem, was die hiesige akademische Linke in den letzten zehn Jahren von den USA lernen zu müssen glaubte.
Das Eigene als Novität
Den kleinen deutschen Hype um »Jacobin«, den Suhrkamp mit dem Band bedient, kann man im Stil des Heftes vielleicht in eine Bierparabel fassen: Erst haben nicht zuletzt amerikanische Konzerne das kleine, lokale Brauhandwerk aufgekauft, um allen Einheitsplörre einzuschenken. Dann kam die nächste Generation aus den Staaten, um weltweit die Idee des kleinen, lokalen Brauhandwerks als coolen Trend zum »Craft Beer« zu verkaufen. So ist es mit diesem Heft: Europas Linke, die fasziniert über den Teich schaut, kann im linken Sozial(demokrat)ismus von »Jacobin« sich selbst als Novität erleben – und vielleicht die Geschichte ihrer Politik neu zu würdigen lernen: In den USA hingegen erscheint »Jacobin« vor allem deswegen so aufregend neu, weil der Diskurs der Zeitschrift im Grunde sehr europäisch ist. Das zeigt sich im Band immer wieder. Zum Beispiel wenn – etwa in dem Bernie-Sanders-Interview – am Ende eine bezahlbare Krankenversicherung für alle als Horizont aufscheint, als wäre schon das eine transformatorische Utopie.
Das heißt natürlich nicht, dass Heft wie Bewegung – denen alles Glück zu wünschen ist – nicht originell seien. Vieles, was im Band zu lesen ist, klingt hierzulande gerade jetzt aktuell: Seit 2010 hat »Jacobin« relevante Diskussionen vorweggenommen. Für jemanden, der Avantgarde sein möchte, ist dies das schönste Kompliment.
Und über Craft Beer ist, abgesehen vom zuweilen sehr stolzen Preis, an sich ja auch überhaupt nichts Schlechtes zu sagen.
Loren Balhorn, Bhaskar Sunkara (Hg): »Jacobin - die Anthologie«, Edition Suhrkamp, 311 S., 18 €.
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