- Politik
- Die Grünen werden Volkspartei
Weltoffen und rigoros
Moral, aber nicht auf Kosten der Sozialsysteme
Die Grünen werden Volkspartei? Die Migrationspolitik jedenfalls wird ihnen diesen Status kaum verschaffen. Das liegt zunächst daran, dass die meisten Menschen ihre Wahlentscheidung nicht zuerst von der Migrationspolitik abhängig machen. Die Zahl der Menschen, die es doch tun und dabei nicht auf der Rechten landen, dürfte kaum eine Volkspartei begründen. Also erstens: Die Flüchtlingspolitik kann es nicht sein, deretwegen die Grünen plötzlich von so vielen Menschen gewählt werden.
Zweitens sollten selbst hingebungsvollste Verfechter der Rechte von Geflüchteten wissen: Die Grünen, die die Menschenrechte wie einen Vorschlaghammer vor sich hertragen, notfalls damit auch ihre Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr begründen, haben eine wenig verlässliche Kategorie zum festen Element ihrer Politikerklärung gemacht: die moralische Empörung. Entscheidungen können mit diesem Maßstab so oder so ausgehen.
Das heißt einerseits, dass die Grünen Menschenrechts- und Genfer Flüchtlingskonvention hochhalten; sie standen im 2015er Sommer der Migration auf der Seite Merkels, als diese die Grenzen vor dem Ansturm der Flüchtlinge nicht verschloss. Im Bundestag gehören sie neben der Linkspartei zu den Fraktionen, die die Finger in die Wunden der deutschen Flüchtlingspolitik legen. Sie kämpfen für die Familienzusammenführung von Bürgerkriegsflüchtlingen, für Fluchtursachenbekämpfung und werben um Verständnis für zivile Seenotretter im Mittelmeer.
Andererseits sind Grüne inzwischen regierungserfahren und pragmatisch. In ihren Grundsätzen, die bis 2020 in einem neuen Programm gerinnen sollen, steht: »Nicht jeder, der zu uns kommt, wird in Deutschland bleiben können, aber jeder hat Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und den Schutz seiner Menschenrechte auch infolge einer Ablehnung. Jede Abschiebung ist mit großen menschlichen Härten verbunden.« In der Linkspartei wäre dies ein Fauxpas. Dennoch grenzen sich die Grünen von der Linkspartei unter Hinweis auf deren angeblich nationalistische Tendenzen ab. In einem »Spiegel«-Interview warf Parteichef Robert Habeck der Linkspartei vor, diese setze »zunehmend auf eine identitäre, ausschließende Politik: Nationalstaat, Grenzen zu«. Das sei nicht links. »Links ist mehr als Umverteilung.« Das ist wohl auf Sahra Wagenknecht gemünzt. Die Fraktionschefin der LINKEN im Bundestag widerspricht dem Ziel »offener Grenzen«, das im Programm ihrer Partei steht. Doch auch die Grünen sind weit entfernt davon, offene Grenzen für alle zu fordern. Sie sind in dieser Frage dem Wagenknecht-Flügel viel näher, als sie tun. Trotzdem klingen sie wie die Kritiker Wagenknechts auch in der Linkspartei, wenn sie den Vorwurf des Nationalismus erheben.
Im Entwurf eines Einwanderungsgesetzes zeigen die Grünen, dass sie auch marktliberal können. Sie befürworten zwar einen »Spurwechsel« von Asylbewerbern ins Regime der Arbeitsmigration. Um eine Jahresfrist zur Jobsuche zu überbrücken, müssen Einwanderer dann aber selbst für ihren Unterhalt sorgen. Womit ein dritter Grund angesprochen wäre, wieso die Grünen keine Volkspartei werden dürften, wenn dies von ihrer Migrationspolitik abhinge: Auch Migranten selbst sehen die Partei nicht als ihre angestammte Interessenvertreterin. Ausgerechnet die Unionsparteien sind unter Migranten am beliebtesten; auf 43,2 Prozent Zustimmung stoßen diese. Die Zustimmung für die Grünen sank binnen zwei Jahren von 13,2 auf zehn Prozent. Übrigens verzeichnete auch die Linkspartei einen Rückgang - von 11,3 auf 10,1 Prozent.
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