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Touristen verdrängen Mieter
Wie das Internetportal Airbnb in Hamburg für Zweckentfremdung von Wohnraum sorgt
Hamburg, »Welcome to the Heart of Hamburg«. Natalie, laut eigener Auskunft Airbnb-Mitglied seit März 2015, bewirbt ihre Wohnung in der Hamburger Buchardstraße (Altstadt) im Slang, der für das Portal typisch ist: »Moin moin Leute, ich bin ein aufgeschlossener, vielseitig interessierter Mensch, der gern mit anderen Leuten zusammenkommt.« Portale wie Airbnb versprechen ihren Kunden, dass diese nicht mehr einfach nur eine Ferienwohnung buchen oder in ein Hotel einziehen, sondern wie bei Freunden in deren Wohnung leben. Doch bei Lichte besehen dürften sich Natalies »aufregende und sehr spannende« Kontakte mit »interessanten Personen aus der ganzen Welt« auf die schnöde Übergabe der Schlüssel für ihre 110 bis 195 Euro teure Unterkunft beschränken.
»Ich habe die Schlüsselübergabe vor der Eingangstür mehrmals beobachtet«, berichtet Christian Schwarz*. Er ist Mieter einer der 17 Wohnungen im 1936 erbauten Rotklinkerhaus. »Es gibt viele Wechsel. Wenn ich die Leute darauf anspreche, bestätigen sie, dass sie eine Airbnb-Wohnung mit großem Wohnzimmer und Mini-Küche angemietet haben. Meistens sind es Familien.« Die Kurzzeit-Untermieter erzählen dann, dass die Wohnung wie ein Hotel hergerichtet sei.
Laut Auskunft von Schwarz und seiner Mitstreiterin Diana Müller* lebte die Airbnb-Vermieterin jahrelang selbst im Haus und zahlt eine geringe Miete. »Sie profitiert davon, dass Wohnraum in Hamburg sehr begehrt ist«, kritisiert Müller das Geschäftsgebaren von Natalie. Ein Gast habe ihr erzählt, dass er für vier Nächte 800 Euro bezahlt habe, berichtet Müller: »Auch wenn darin wohl die Vermittlungsgebühren enthalten sind, möchte ich nicht wissen, wie viel die abzockt.« In guten Monaten sind für Natalie locker 4000 bis 6000 Euro abzüglich ihrer regulären Miete drin. Diana Müller sieht das Treiben kritisch: »Man darf verzweifelten Wohnungssuchenden nicht auf diese Weise Wohnraum entziehen und derart Profit daraus schlagen. Das ist keine persönliche Sache mehr, sondern es hat eine politische Bedeutung.«
Und wie reagiert der Vermieter, der schwedische Immobilien-Investor Akelius GmbH, auf das Treiben? »Die Untervermietung von Wohnraum bedarf laut aktueller Gesetzgebung der Zustimmung des Vermieters. Hinzu kommt, dass eine häufige und nach Tagen bemessene Untervermietung, wie sie für Airbnb typisch ist, als gewerbliche Untervermietung und damit als Zweckentfremdung einzuordnen ist. Demnach würden wir mit den notwendigen mietrechtlichen Konsequenzen vorgehen«, antwortet die Hamburger Akelius-Sprecherin Stefanie Schulke. Sie verspricht: »Wir werden den Hinweisen nachgehen!«
Hamburg boomt. Die Stadt wächst und zieht immer mehr Touristen an. Binnen zehn Jahren hat sich die Zahl der Übernachtungsgäste auf 14 Millionen Übernachtungen pro Jahr verdoppelt, jeder Siebte bucht bei privaten Anbietern. Rund 400 Pensionen und Hotels, die 65 000 Betten im Angebot haben, konkurrieren mit den Wohnungsbörsen im Internet, die meist Homesharing vorgaukeln, aber immer öfter komplette Wohnungen im Angebot haben. Rund 270 000 Hamburg-Touristen mieteten sich nach Medienberichten 2017 allein über Airbnb privat bei knapp 5400 Gastgebern ein - Tendenz steigend.
»Die privaten Anbieter müssen keine Auflagen erfüllen. Brandschutz, Sicherheitsmaßnahmen und Meldepflicht entfallen bisher bei privaten Vermietungen«, sagt Norbert Aust, Vorsitzender des Tourismusverbands Hamburg. Zwar gilt in der Hansestadt seit 1971 das Verbot, Wohnraum für andere Zwecke zu nutzen, doch bei der Ahndung von Verstößen hakte es. Laut Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der oppositionellen CDU wurden von Januar bis Juli 2018 von 20 Mitarbeitern außer Leerständen und Schimmelwohnungen auch 72 zweckentfremdete Wohnungen aufgespürt. Im Bezirk Mitte war es aber keine einzige, weil von offiziell vier Planstellen wegen eines Todesfalls und Versetzungen aktuell keine mehr besetzt ist. Wurden 2016 hamburgweit noch Bußgelder in Höhe von 72 750 Euro verhängt, gab es 2018 nur noch einen Fall in Altona, der mit 500 Euro geahndet wurde.
Dieser Missstand soll nun mit der von dem Mieterverein zu Hamburg lange geforderten Verschärfung des Wohnraumschutzgesetzes beendet werden. Künftig müssen sich alle Anbieter von Ferienwohnungen registrieren lassen und Übernachtungen den Steuerbehörden melden. Außerdem wird die Vermietungszeit auf maximal acht Wochen pro Jahr (bisher: sechs Monate) reduziert und der Bußgeldhöchstbetrag auf 500 000 Euro verzehnfacht. Zusätzlich werden die Stellen für Wohnraumschützer auf insgesamt 22 aufgestockt. »So ziehen wir schwarze Schafe unter den Ferienwohnungsvermietern zur Verantwortung«, verspricht Dorothee Stapelfeldt (SPD), Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen.
»Die vorgeschlagenen Regeln sind unverhältnismäßig und würden den Hamburger Bürgern, die gelegentlich ihr Zuhause vermieten und am Tourismus teilhaben wollen, schaden. Profiteur der Regelungen wäre vor allem die Hotel-Lobby«, giftete Airbnb nach den Ankündigungen der Behörde. Der Bettenbörsen-König hatte sich bereits im Frühjahr 2018 über das verschärfte Zweckentfremdungsverbot in Berlin beschwert: Ein unklares Gesetz erschwere vielen Hauptstädtern das Homesharen. Dabei ist das Geschäft von Airbnb darauf angelegt, die Zweckentfremdung von Wohnraum zu fördern.
Auch die städtische SAGA Unternehmensgruppe und die Genossenschaften sehen das Treiben von Airbnb kritisch. »Wir prüfen fortlaufend, ob Wohnungen auf Internetplattformen angeboten werden«, betont SAGA-Sprecher Gunnar Gläser: »Mieter, die ganze Wohnungen oder einzelne Zimmer dort anbieten, werden konsequent abgemahnt.« Die SAGA stelle bezahlbaren Wohnraum insbesondere für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zur Verfügung, so Gläser. Daher gehöre es zu ihrem Selbstverständnis, gegen Zweckentfremdung wie der Überlassung von Wohnungen an Touristen konsequent vorzugehen.
Was bei findigen oder skrupellosen (Unter-)Vermietern die Kasse klingeln lässt, raubt manchen den Schlaf. Dabei sind die Rollkoffer, die durch die Szeneviertel gezogen werden, und die ständige Belagerung von Treppenhäusern noch das geringste Übel, wie ein Fall aus Bramfeld zeigt. Dort steht Monika Drebold in der Sollkehre 22 vor ihrer ehemaligen Wohnung, die sie 1983 angemietet und in der sie ihre Kinder aufgezogen hat. »Als ich die Kündigung erhielt, war ich wie erschlagen. Ich hatte eine Woche zuvor von meinem Arzt die Diagnose bekommen, dass ich schwer erkrankt bin. Und dann musste ich mich noch auf Wohnungssuche begeben.« Doch ihr Vermieter ließ sich von dem Schicksalsschlag nicht beeindrucken und bestand auf seiner Kündigung, die er mit Eigenbedarf begründete, so Drebold: »Er behauptete, seine Ehe sei in die Brüche gegangen, weshalb er gerne mit seiner Tochter in meine Wohnung ziehen würde.« Er besitzt im Haus noch eine zweite Wohnung. Da die sich aber im Erdgeschoss befinde, komme sie nicht infrage, weil seine Tochter dort Angst vor Einbrechern habe, argumentierte er scheinheilig.
Die rührselige Geschichte war aber offenbar erfunden. »Kurz nach meinem Auszug bekam ich von einer Freundin den Hinweis: Da wohnen immer andere drin«, erzählt Drebold, die in einer Senioreneinrichtung arbeitet. Sie recherchierte im Internet und fand ihre Wohnung als Angebot bei Airbnb. »Eine Welt brach für mich zusammen. Ich hätte vor Wut platzen können.« Früher wohnte sie für 560 Euro brutto auf 63 Quadratmetern, heute zahlt sie 684 Euro brutto für 59 Quadratmeter und hat ein halbes Zimmer weniger. Der Stadtteil ist immerhin derselbe. Mithilfe des Mietervereins zu Hamburg versucht Drebold nun, zumindest die Umzugskosten erstattet zu bekommen. Als wir den Ort der Vertreibung verlassen, kommt eine ehemalige Nachbarin die Treppe hinunter und ruft Drebold in Anspielung auf das laufende Entschädigungs-Verfahren zu: »Ich drücke Ihnen die Daumen, zocken Sie ihren Ex-Vermieter ordentlich ab!«
Doch das sei wegen der geltenden Rechtsprechung nicht so einfach, sagt der Mietervereins-Vorsitzende Siegmund Chychla über den »besonders krassen Fall«: »Falsch parken kostet heute 50 Euro, aber wenn jemand durch dubiose Kündigung sein Dach überm Kopf verliert, dann schneidet ihm die höchstrichterliche Rechtsprechung die Rückkehrmöglichkeit in die Wohnung mit dem Hinweis ab, man könne ja auf Schadensersatz klagen. Die zu beobachtende Erosion des Rechtsempfindens in der Bevölkerung wird durch vergleichbare Entscheidungen des Bundesgerichtshofs noch gefördert«, ärgert sich der Mietrechtsexperte.
Der Fall Drebold verdeutliche, so Chychla, dass es sich bei den Wohnungsportalen im Internet um ein »knallhartes Geschäftsmodell« handele. In den Fokus dieser Unternehmen geraten immer mehr komplette Wohnungen, die professionell dem Tourismus zugeführt und damit dem allgemeinen Wohnen entzogen werden. Ein abschreckendes Beispiel ist Amsterdam: 71 Prozent der 19 000 Mitwohnangebote in der Stadt sind komplette Wohnungen.
Dabei ist Airbnb einst aus der Not heraus entstanden. Weil die Firmengründer Brian Chesky und Joe Gebbia sich eine reguläre Unterkunft in San Francisco kaum leisten konnten, hätten sie drei Luftmatratzen im Wohnzimmer aufgeblasen, um sie an Besucher einer Design-Konferenz unterzuvermieten. Im Preis inbegriffen: ein Frühstück, also »Air, bed and breakfast«, später kurz Airbnb - Luftmatratze und Frühstück. Was im August 2008 begann, wuchs zu einem Konzern mit knapp fünf Millionen gelisteten Unterkünften in 191 Ländern. Geschätzter Firmenwert laut dem Portal »statista«: 31 Milliarden US-Dollar.
* Namen geändert
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