Verkehrswende mit Schattenseiten

Für E-Autos notwendige Rohstoffe werden oft unter katastrophalen Bedingungen abgebaut

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Der zügige Ausbau der Elektromobilität gilt als Schlüsseltechnologie für eine ökologische Verkehrswende und die Erreichung der Klimaziele. Doch entwicklungspolitische und Umweltorganisationen warnen vor einer blauäugigen Sichtweise auf die allmähliche Abkehr von Verbrennungsmotoren. Zwar hätten batteriebetriebene Pkw und Nutzfahrzeuge einen deutlichen und unverzichtbaren Effekt bei der Reduzierung gesundheits- und klimaschädlicher Emissionen, dennoch sei die Umwelt- und Energiebilanz dieser neuen Fahrzeuggeneration »äußerst problematisch« erklärte Michael Reckordt vom ökologischen Energie- und Wirtschaftsverein Powershift am Freitag bei einem Fachgespräch in Berlin.

Denn für Batterien und für die zunehmende Digitalisierung werden dem Experten zufolge bislang unvorstellbare Mengen an Rohstoffen gebraucht, die »oftmals unter katastrophalen menschenrechtlichen, ökologischen und sozialen Bedingungen in Ländern des globalen Südens abgebaut werden«. Das betrifft vor allem Kobalt, Lithium und Nickel, aber auch Kupfer und Seltene Erden.

So führt der vermehrte Abbau von Lithium in Chile - einem der größten Produzenten - schon jetzt zur Verkarstung ganzer Regionen und damit zur Vernichtung der Existenzgrundlage für dort von der Landwirtschaft lebende Menschen. Für die Herstellung einer Tonne verwertungsfähigen Lithiums werden rund zwei Millionen Liter Wasser benötigt, die aus tiefen Brunnen gepumpt werden, was den Grundwasserspiegel kontinuierlich absinken lässt. Dennoch werden immer neue Abbaulizenzen erteilt, da der weltweite Bedarf an Lithium in den kommenden 30 Jahren um bis zu 50 Prozent steigen könnte.

In der Demokratischen Republik Kongo, die über die weltweit größten Kobaltvorkommen verfügt und derzeit 58 Prozent des Weltverbrauchs abdeckt, sind es neben den Umweltauswirkungen vor allem die katastrophalen Arbeitsbedingungen der Schürfer, die den Organisationen ein Dorn im Auge sind. Oftmals sind sowohl Kinderarbeit als auch schrankenlose Ausbeutung und Unterdrückung der Arbeiter an der Tagesordnung. Die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt fordern sowohl verbindliche internationale Standards für Umwelt- und Arbeitsbedingungen als auch Verpflichtungen für in diesen Sektoren tätige Konzerne auf nationaler Ebene. Jedoch können wichtige Akteure, wie die vor allem in Afrika massiv im Rohstoffsektor expandierenden chinesischen Staatskonzerne, dabei kaum erfasst werden.

Doch selbst auf nationaler Ebene sei eine nachhaltige Verkehrswende nicht durch den »simplen Austausch der Antriebstechnologie zu bewältigen«, so Reckordt. Bei einer flächendeckenden Umrüstung würde der Stromverbrauch Größenordnungen erreichen, die außerhalb jeglicher Vorstellungskraft lägen. Derzeit sei Deutschland »eine Art Jurassic Park für Auto-Dinos«, doch ohne massive Eingriffe in die individuelle Automobilität werde es nicht gehen.

Derzeit werden in Deutschland fast drei Viertel aller Wege mit dem Pkw zurückgelegten. Dabei sitzen im Auto im Schnitt nur 1,1 Personen . Ferner hat in den vergangenen Jahren das durchschnittliche Gewicht und somit der Ressourcen- und Energieverbrauch der Pkw deutlich erhöht, da extrem schwere SUV das größte Wachstumssegment in der Branche sind. Und bei den ersten geplanten Produktlinien mit reinen E-Antrieben setzt sich dieser Trend fort.

»Wir müssen ran die Zahl der Autos und an ihr Gewicht« fordert Powershift-Geschäftsführer Peter Fuchs. Gerade Großstädte und Ballungsräume hätten riesige Potenziale für neue, geförderte Formen von Carsharing und den massiven Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie der Fahrradinfrastruktur, ergänzt durch Sperrzonen für den Individualverkehr in Innenstädten, eine City-Maut und die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung. Viele europäische Großstädte hätten sich bereits sehr erfolgreich auf diese Wege begeben, so Fuchs.

Aber auch in dünner besiedelten Regionen sieht Fuchs Potenziale. Und zwar sowohl durch ÖPNV-Ausbau, Carsharing und intelligente, digitale Rufbus-Systeme. Für Berlin, wo derzeit 1,6 Millionen private Pkw zugelassen sind, kann sich Fuchs langfristig eine Reduzierung auf 300 000 vorstellen - und die dann natürlich abgasfrei.

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