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Go-saeng - leiden müssen

Min Jin Lee lässt eine tragische Geschichte zum Hohelied der Liebe werden

  • Raimund F. Engelke
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Satz, der programmatisch über dem ganzen Buch stehen könnte, findet sich auf Seite 470: »Ihr Leben lang hatte Sunja diesen Ausspruch von anderen Frauen gehört: dass sie leiden mussten - als Mädchen, als Ehefrauen, als Mütter - und noch im Sterben litten.« Denn es sind in dieser opulenten Familiensaga über sechs Generationen die Männer, die mehr oder weniger erfolgreich Karriere machen, die die Welt im Großen, aber vor allem im Kleinen bestimmen. Die Frauen haben zu dienen und abzunicken.

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Min Jin Lee: Ein einfaches Leben. Roman.
A. d. am. Engl. v. Susanne Höbel. dtv, 550 S., geb., 24 €.

Die ereignissatte Geschichte beginnt im vormodernen, von Japan kolonisierten Korea mit seinen geradezu gruseligen Moralvorstellungen, denen gegenüber christliche und selbst muslimische Moralinsäure sich wie Zuckerwasser ausnehmen würde. Moralvorstellungen, die - eben - vor allem die Frauen treffen.

Die junge Sunja hat sich, als sie noch in Korea bei ihrer Mutter Yangjin lebte, mit einem reichen, in Japan ansässigen Koreaner eingelassen - im Vertrauen darauf, dass dieser sie, als sie schwanger wird, heiraten werde. Aber dann stellt sich heraus, dass Hansu in Japan verheiratet und Vater zweier Töchter ist. Er lehnt eine Eheschließung ab, will aber für Sunja und ihren Sohn da sein.

Mit ihrem Fehltritt hat Sunja die Ehre ihrer Familie befleckt, hat aber Glück im Unglück, als sich ein Geistlicher ihrer annimmt und ihre Ehre durch eine Heirat weitgehend wiederherstellt. Nach seiner Verhaftung durch die Japaner erliegt dieser schließlich seinen jahrelangen Folterungen. Sunja verlässt ihr Heimatdorf in der Hoffnung, ihren Söhnen - es sind inzwischen zwei - in Japan eine Zukunft zu geben. Dort aber gelten Koreaner als Menschen zweiter Klasse. Dennoch gelingt es Noa, dem Älteren, mit stets heimlicher Hilfe seines Vaters Hansu, an den besten Universitäten die besten Abschlüsse zu machen. Sein jüngerer Bruder Mozasu, Sohn des Geistlichen, fühlt sich hingegen zu den Glücksspielhallen des Pachinko (die in Japan fast ausschließlich von Koreanern betrieben werden) und zur Unterwelt hingezogen.

Ein düsteres, bedrückendes Buch also? Nein, ganz und gar nicht! Denn immer, wenn sich irgendwo eine neue Katastrophe einstellt, taucht in fast demselben Augenblick jenes sprichwörtliche »Lichtlein« auf. Und das alles in einem zwar schlichten Erzählstil, aber ohne jeden Absturz ins Kitschige. Das Hohelied der Liebe: zwischen Ehegatten, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Freunden, zwischen geächteten Menschen gleicher Herkunft. Ein wunderbares Buch, ein großartiger Roman-Erstling, dem man einfach nur viele Leserinnen und Leser wünschen kann!

Das Buch ist aber weit mehr als nur eine Familiensaga. Es gewährt tiefe und kompetente Einblicke in japanisch-koreanische soziologische wie politische Binnenverhältnisse, wie sie den wenigsten von uns bekannt sein dürften.

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