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Rauschende Brünnlein

So opulent ist dieser einzigartige Autor bisher noch nie ediert worden: Robert Walsers Briefe in der neuen Berner Ausgabe

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

Er hat den letzten Brief, den ihm das liebe, sehr verehrte Fräulein schickte, lange liegen gelassen. Ende Dezember 1929 bricht er sein Schweigen und schickt der jungen Therese Breitbach einen Bericht seiner Lage. Er lebt seit beinahe einem Jahr in einer »schön gelegenen Heilanstalt« und kommentiert dies mit dem Satz: »Ich bin vollständig gesund und zugleich sehr ernstlich oder erheblich krank.« Im Allgemeinen ginge es ihm aber ganz gut, meint er. Und: »Man kann sehr viel entbehren lernen und sich dabei wohlfühlen.«

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Robert Walser: Werke. Berner Ausgabe. Briefe 1–3.
Hg. v. Peter Stocker u. Bernhard Echte, Mitarb. Peter Utz u. Thomas Binder. Suhrkamp, 3 Bände, 1500 S. m. zahlr. Abb., br., 68 €.

Es gab eine Zeit, da hat Robert Walser (1878 - 1956) unablässig geschrieben. Er veröffentlichte die drei Romane »Geschwister Tanner«, »Der Gehülfe« und »Jakob von Gunten«, dazu Gedichte, kleine Prosastücke, Etüden, Dramolette, Skizzen, Feuilletons und Glossen, zarte, anmutige, luftige Gebilde, filigrane Dichtungen eines genüsslichen Verweigerers, der vom Leben, wie er sagte, nichts erwartete und nichts verlangte.

Das alles ist nun lange her. Walser, der 1925 bei Rowohlt noch einmal ein entzückendes Bändchen mit kurzer Prosa vorlegte, schreibt in der Heilanstalt bei Bern (und danach in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau) fast nur noch Briefe, und die sind oft so, wie seine Erzählstückchen sind: eigenwillig und galant, mal höfliche Mitteilung, fröhliche Plauderei oder freundlicher Schwatz, garniert manchmal mit Nonsens, mal wortreiche Bitte, überschwängliche Dankbekundung oder auch ungehaltene, zornige, gar zänkische Beschwerde. Für ihn waren Briefe, wie es in einem Gedicht heißt, rauschende, plätschernde Brünnlein.

Vier Fünftel der erhaltenen Korrespondenz sind vor langer Zeit schon gedruckt worden: erst in dem von Jochen Greven edierten »Gesamtwerk«, 1979 noch einmal in einem Suhrkamp-Taschenbuch. Die große und vollständige Sammlung der über 900 Schreiben, eingeschlossen die empfangenen Briefe (die meisten warf Walser weg), eröffnet nun die Berner Ausgabe der Werke im Suhrkamp-Verlag. Drei, in schlichtes Hellgrau gekleidete, Bände sind es geworden. Sie stellen mit ihren 1 500 Seiten die alten Präsentationen weit in den Schatten.

Vor allem der Schlussband begeistert. Er bringt neben dem Nachwort, den Registern und einer Zeittafel einen Editionsbericht, dazu Honorarbelege und Drittbriefe, etwa die Absagen von Verlagen oder die eindringlichen Schreiben, mit denen sich Insel-Lektor Alfred Walter Heymel bei Anton Kippenberg für Walser einsetzte, Verlagsverträge und, welch schöne Ergänzung, viele Abbildungen der in gestochener Schrift verfassten Postkarten und Briefe (oft geschmückt mit aufgeklebten Illustrationen). So opulent ist dieser einzigartige Autor noch nicht ediert worden.

Max Brod, den Kafka auf Robert Walser aufmerksam machte, hat die Briefe des Schweizers »Naturphänomene« genannt. »Zweck und Nicht-Zweck«, meinte er, »wirbeln durcheinander. Ein manchmal fröhlicher, manchmal grausiger, immer bedeutungsvoller Tanz.«

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