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Doch die Furcht bleibt
Anat Feinberg über die Rückkehr der jüdischen Künstler
Die Flucht zum zynischsten Ausdruck des Weltbürgertums gemacht zu haben - das war im 20. Jahrhundert der barbarische Beitrag Deutschlands zur Internationalität des Menschen. Des Menschen, der Geld oder Glück brauchte oder die Gunst der Vorahnung hatte und also schnell und rechtzeitig dem Nazireich entkam. Das Weite suchen - letzte Rettung vor Verfolgung und Tod. »Außer einer unheilbaren Krankheit kann einen jungen Menschen nichts Schlimmeres treffen als die unfreiwillige Emigration.« So der Schauspieler Ernst Deutsch. Einer von vier Porträtierten im Buch von Anat Feinberg: »Wieder im Rampenlicht. Jüdische Heimkehrer in deutschen Theatern nach 1945«.
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Anat Feinberg: Wieder im Rampenlicht. Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945.
Wallstein, 336 S., geb., 29 €.
Die israelische Literaturwissenschaftlerin, lehrend in Tel Aviv und Heidelberg, hat eine beklemmende, intensiv recherchierte Studie vorgelegt. Herkunft und Heimkunft, Heimat und Fremde - persönliche Schicksale, verknüpft mit der Analyse individueller Integrations-, aber auch gesellschaftlicher Abwehrtechniken in einer so aufbauenden wie auch verwundet und verkrustet bleibenden Nachkriegswelt. »Wir gingen ins Exil wie entthronte Könige«, sagt der Schauspieler und Regisseur Berthold Viertel. Verweis auf das, was unter den Künstlern die Theatermenschen am härtesten traf: Indem sie Deutschland hinter sich ließen, starb ihnen das Instrument - die Sprache. Steffie Spira, die unvergesslich zu den Rednerinnen des 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz gehörte, hatte Glück: In Mexico City konnte sie während des Krieges im Heinrich-Heine-Klub Stücke deutscher Exilanten aufführen.
Der erwähnte Berthold Viertel, ein Brecht-Freund, kehrte später nicht nach Deutschland zurück, er ging nach Wien. Anderen (wie Curt Bois) fehlte zur Überfahrt in den Frieden das Geld - als übe sich das Schicksal weiter in unverschämtem Zynismus: einmal Reiseglück (nämlich ins Exil) gehabt zu haben, das reicht doch! Denen, die eine Heimkehr schafften, eine Rückkehr wollten, eröffnete sich ein Leben zwischen Gebraucht- und Beäugtwerden. Steffie Spira erzählt vom Beglücktsein, an der Volksbühne, in der »kriegsfreien« DDR zu arbeiten; natürlich wird auch sie von all dem gepresst, mit dem der offiziell sozialistische Staat sich selber würgte.
Jüdische Porträts (Spira, Deutsch, Herbert Grünbaum, Claudius Kraushaar) weiten sich zum Erfahrungsstoff, der Hunderte Einzelschicksale zur binationalen Kulturgeschichte verknüpft: Ost und West, Rot und Schwarz. »Ihr, die Ihr fern der Heimat lebt, seid Ihr bereit, trotz aller Schwierigkeiten beim Wiederaufbau mitzuhelfen? Dann kommt! Alles, was wir erträumten, können wir jetzt schaffen, auch aus dem Nichts.« So hatte Gustav von Wangenheim, Intendant des neu eröffneten Deutschen Theaters Berlin, unmittelbar nach dem Krieg in den Äther aller Welt gefunkt. Einladung an Ausgelassene, die zu Verschwiegenen geworden waren; Komödianten, längst der Verzweiflung benachbart; Träumer, heimgesucht vom Alb.
Davon bleibt den meisten, auch wenn man wieder erfolgreich wird, doch eine »irre Lebensangst«. So der geniale Fritz Kortner, der in München westdeutschen Theatergrößen wie Stein oder Flimm ein ingeniöser Lehrer wurde - und der doch nie die Scheu, die Furcht, das Misstrauen überwand, als Jude in Deutschland zu leben. Feinbergs Buch lässt einen Rückkehrer sagen: »kein Mitleid, kein Mitgefühl«. Elisabeth Bergner - 1985 wird sie, als Dieter Mann das DT leitet, Ehrenmitglied - flieht 1949 ein zweites Mal dieses Deutschland. Und Therese Giehse besucht in den 1950ern das Münchner Oktoberfest - Besoffene stolpern ihr mit Nazi-Liedern entgegen, sie sagt: »Daheim.«
Die Autorin notiert, etwa 420 Bühnenautoren und 4000 Theaterschaffende seien ins Exil gegangen, weltweit vierzig Länder wurden zur Ersatzheimat. Ein Ersatz, der vielen Betroffenen jenen skizzierten seelischen Knacks zufügte und sie zeitlebens zeichnete. Claudius Kraushaar, vor 1933 Besitzer eines erfolgreichen Privattheaters in Stuttgart, musste nach dem Krieg jahrelang und zermürbend um Rückerwerb kämpfen. Ein biografischer Nachruf 1955 in der »Stuttgarter Zeitung« lässt die leidvolle NS-Zeit nur vage durch den Text nebeln. Fritz Kortner wird sich lebenslang weigern, an bundesdeutschen Bühnen Lessings Nathan zu spielen - er gibt mit Vehemenz und bitterer Anklage den Shylock aus »Der Kaufmann von Venedig«.
Feinberg hat ein Buch über Menschen geschrieben, die auch Plagegeist waren, bleiben. Wie viel davon repräsentieren wir? Es geht um den Mitläufer, Produkt der arbeitsteiligen Industrie-Gesellschaft: Er möchte nur so viel wissen, dass er nicht in die Lage kommt, mehr wissen zu müssen. Das ist nicht mein Bier, sagt er, und schluckt seine Meinung. Erst die Meinung, dann den Charakter. Niemals kann es zu Entartungen in der Gesellschaft kommen, wenn nicht zwischen politischer Herrschaft und geistigen Verfassung der regierten Mehrheit ein gewisses Maß an Übereinstimmung besteht.
Komödie ist immer auch Tragödie. Und umgekehrt. Was bekommt der deutsche, jüdische Emigrant für Rollen in Hollywood: den Nazi in Antinazifilmen. Ein Schauspieler, Wolfgang Zilzer (in den USA heißt er Paul Amthor), gibt »drüben« den Goebbels. Warum auch nicht? »Eine gute Rolle spielt man gern.«
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