Wie’n Wiener eben so ist
Verletzter Idealist: Otto Stark
Der Österreicher Thomas Bernhard bestätigte den Österreichern, sie hätten selten Sitzbeschwerden: Das habe seine Ursache im ausdauernden Training in Kaffeehäusern. Diese Diagnose leitet gut über zu einem anderen Österreicher: Otto Stark, der Wiener, nannte eines seiner ersten Kabarett-Programme: »Witzbeschwerden«. Da war er noch Schauspieler in Dresden - und wurde bald einer der Mitbegründer der dortigen »Herkuleskeule«.
Kam ein Philosoph, also ein unverstellter Denker, in die DDR, konnte er getrost sagen: »Ich denke, also bin ich - falsch hier.« Ähnlich lag die Sache beim Kabarett. Wie sagte Gregor Gysi jetzt in einem Rundfunk-Nachruf auf Otto Stark: »Kabarett passt eigentlich nicht in eine Diktatur.« Stark, 1922 geboren, bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Exil, hatte sich aus antifaschistischer Motivation für den Osten Deutschlands entschieden. Ein Idealist also. Aber eben auch Satiriker - das sind zutiefst verletzte Idealisten. Satire beginnt dort, wo der Spaß aufhört.
Von 1960 bis 1990 leitete Stark die Berliner »Distel«. Ostberlins Antwort auf Westberlins Spötter-Szene: Distel gegen Stachelschweine. Starks Spiel, seine Art verband auf verschmitzte, listige Weise den Wiener Weichton mit ungeschminkter Bloßstellung. Er konnte mit geradezu tückischem Charme hinters Licht führen, das schönfärbte. Er genoss es, immer als ein wenig fremd gelten zu dürfen. Seine trojanische Pferdestärke. Unter den Augen einer politischen Obrigkeit, die Bejahung erwartete, lieferte das Berliner Kabarett - Bejahung: Stimmt, alles Gute kommt von oben. Pause. Nachsatz: ... und fällt dem Volk auf die Füße. Jahrzehntelanger Spagat zwischen offener und getarnter Attacke. Otto Stark war einer der letzten jener Zeit, da Wahrheit auf einer Bühne durchaus ein Abenteuer war - dies gesagt in Zeiten, da Wahrheiten einander gern aufheben. Pluralismus: Wagnis, aber auch Watte.
Gerd E. Schäfer, Heinz Draehn, Gustav Müller, Brigitte Krause: »Distel«-Größen, deren Namen mit dem Leben von Otto Stark untrennbar verbunden bleiben. Nun ist er im Alter von 96 Jahren verstorben.
Hans-Dieter Schütt
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