- Politik
- G20 in Argentinien
Die Mittelklasse blieb zu Hause
Völkergipfel als Gegenpol zum G20 in Buenos Aires endete mit friedlicher Demonstration
Buenos Aires. 50 000 Menschen haben in Buenos Aires friedlich gegen den G20-Gipfel demonstriert. Weitab vom Tagungsort der 20 Staats- und Regierungschefs zogen sie am Freitag über die Avenida 9 de Julio vor das Kongressgebäude im Zentrum der Stadt. Die Strecke war nahezu abgeriegelt und von einem massiven Polizeiaufgebot bewacht. Unter dem Motto »Nein zum G20, Raus mit Trump und allen imperialistischen Führern, Weg mit dem Abkommen zwischen Macri und dem IWF« verlas Nora Cortiñas von den Müttern der Plaza de Mayo/Línea Fundadora die Abschlusserklärung.
»Bienvenido al infierno« (»Willkommen in der Hölle«) hatte auf dem Sperrgitter vor dem Kongress gestanden. Unbekannte hatten den Begrüßungsspruch gesprüht und damit an die »Welcome to Hell«-Demonstration gegen den Hamburger G20 erinnert. Regierung und Medien hatten für Buenos Aires ein ähnliches Szenario beschworen. Es fand nicht statt, und die einzigen Schwaden, die über den Platz vor den Kongress waberten, kamen von den brutzelnden Chorizos (landestypische Würste).
Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!
Der Demonstrationsmarsch war der Abschluss einer Aktionswoche mit vielfältigen Aktionen und einem zweitägigen Völkergipfel. Dass weder U- noch S-Bahnen fuhren und nur eingeschränkt Busse unterwegs waren, mag manche vom Kommen abgehalten haben. Über allem lag eine angespannte Atmosphäre. Zuvor war bekannt geworden, dass die Polizei in einem Fahrzeug an der Demonstrationsstrecke Brandsätze gefunden hatte. Doch das einzige, was an diesem Tag brannte, war ein kleines Zelt, aufgemacht als McDonald’s-Bude in den Farben der US-Flagge. Es wurde gejohlt und geklatscht. Fotografen eilten herbei. Es blieben die einzigen Bilder von etwas Brennendem.
Am Straßenrand hatte sich Roberto Sastre auf einen Sockel gestellt und schaute auf die vorbeiziehenden Blöcke der sozialen Basisorganisationen, alternativen Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und kleinen linken Parteien. Antiimperialist sei er. Wenn diese Organisationen ihre Anhängerschaften mobilisierten, kämen 50 000 zusammen. »Mehr geht nicht.« Die großen Oppositionsparteien und Gewerkschaften hätten keinen Finger gerührt. Aber, und das sei der eigentliche Wermutstropfen: »Der Protestfunke ist nicht übergesprungen. Die Mittelklasse ist zu Hause geblieben.« Er zuckte mit den Schultern und reihte sich ein.
Halstuchverkäufer Marco stand die Unzufriedenheit ins Gesicht geschrieben. »Hier, das weiße Halstuch haben wir extra angefertigt.« G20 in einem runden Verbotssymbol ist aufgedruckt. »Super Idee, dachten wir, Souvenirs für die Ausländer. Aber schau dir die Leute an. Alle von hier, und die haben kein Geld.« Tatsächlich sind kaum ausländische Teilnehmer zu sehen. Selbst aus Brasilien, wo man auf den Anti-Bolsonaro-Effekt gesetzt hatte, waren nur wenige gekommen. Noch am stärksten vertreten waren in Buenos Aires lebende Bolivianer und Peruaner.
Eine kleine Gruppe von etwa 30 Vermummten hatte sich ebenfalls in den Zug eingereiht. Immer wieder sprintete jemand heraus und sprühte ein Graffito. Eine verschwindende Minderheit, die von den anderen Gruppen skeptisch beäugt wurde. Die hatten Sicherheitszonen um sich gebildet, um zu verhindern, dass Provokateure bei ihnen einsickern.
Die Polizei meldete die vorübergehende Festnahme von 17 Personen. In ihren Rucksäcken seien unter anderem Zwillen und Schraubenmuttern gefunden worden. Der Abmarsch ging dennoch ruhig vonstatten. »Wir bleiben heute sogar an der roten Ampel stehen«, witzelte einer auf dem Heimweg.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.