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- Anschlag in Straßburg
Rechte Politik als hohes Sicherheitsrisiko
Perspektivlosigkeit und eine rigorose Law-and-Order-Politik treiben verunsicherte Männer förmlich in die Arme islamistischer Prediger, meint Ingar Solty
Während zum gleichen Zeitpunkt die französische Arbeiterklasse einen Volksaufstand in Frankreich wagt, schoss am Dienstagabend Cherif Chekatt, ein 29-jähriger Franzose mit algerischen Wurzeln, auf dem Weihnachtsmarkt in Straßburg um sich, nachdem er »allahu akbar« (»Gott ist groß«) gerufen hatte. Dieser islamistische Terroranschlag ist so widerlich wie erbärmlich. Wie feige muss man sein, wahllos auf unbewaffnete und unschuldige Menschen zu schießen, die sich zum Ende des Jahres mit Würstchen, Punsch, heißem Kakao und Gebäck versorgen?
Chekatts Tat, die, wie so viele islamistische Anschläge, womöglich auch Züge eines Amoklaufes oder – in diesem Fall – gescheiterten erweiterten Selbstmords trägt, erinnert an einen entscheidenden Zusammenhang, wenn es darum geht, solche Mordtaten in Zukunft zu verhindern. Man kann es zweifellos nicht und nie ganz. Selbst die dramatischste Aufgabe von Freiheitsrechten und die krasseste Militarisierung des öffentlichen Raumes werden solche Taten nie vollständig verhindern können. Im Zweifelsfall werden sie von einem der schlecht kontrollierten oder sich im Job radikalisierten »Sicherheitsbeamten« auf einem Weihnachts- oder Wochenmarkt in Castrop-Rauxel, auf einer Busfahrt in Friedberg oder an einer Straßenecke in Bietigheim-Bissingen begangen. Trotzdem kann und muss man probieren, die Wahrscheinlichkeit solcher Taten zu minimieren.
Dafür muss man begreifen, wie die Täter ticken. Die »B.Z.« titelte: »Im Gefängnis wurde Attentäter Chérif Chekatt (29) zum Islamisten.« In einem Elternhaus in Straßburg mit fünf Geschwistern aufgewachsen, habe Chekatt »über keine Berufsausbildung verfügt« und sei »den Behörden als Intensivtäter bekannt« gewesen. »Wegen Diebstahls und Gewalttaten« sei er »in Frankreich, Deutschland und der Schweiz insgesamt 27 Mal verurteilt« worden, nach zwei Einbrüchen schließlich vom Amtsgericht Singen am Bodensee zu zweieinhalb Jahren und drei Monaten Gefängnis. Hier, so Staatsanwalt Heitz, habe er sich »islamistisch radikalisiert« und wurde nach seiner Haft nach Frankreich abgeschoben. In Frankreich hätten ihn die Behören überwacht und auf einer Gefährderliste gesetzt, auf der 25.000 mutmaßliche Islamisten stehen, von denen rund 10.000 für gewaltbereit gehalten werden.
Die bisherigen Erkenntnisse weisen wieder einmal auf den Zusammenhang zwischen ökonomischer Perspektivlosigkeit und Marginalisierung, Kleinkriminalität, (Nulltoleranz-)Gefängnisstrafen und anschließender Salafismus-Konvertierung im Gefängnis hin, mit der besagte Kleinkriminelle versuchen, ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben und - paradoxer Weise – ihm eine neue Tugendhaftigkeit jenseits der bisherigen Ziellosigkeit zu verleihen. Der von autoritären Staatsanwälten und Richtern oft zitierte »Schuß vor den Bug«, der nötig sei, um die Diebe, Einbrecher, Drogendealer und Körperverletzer von ihrem Weg abzubringen, funktioniert also - allerdings nicht so, wie sich das autoritäre Konservative, denen es nun einmal oft an Verständnis für psychologische Prozesse mangelt, in ihrer begrenzten Fantasie vorstellen.
Das Problem geht jedoch tiefer. Die rechte Politik der Bestrafung und Ausgrenzung verschärft es geradezu. Denn die westlichen Gefängnisse sind heute nicht nur zentrale Rekrutierungsanstalten des Salafismus. Sie produzieren auch weitere Ungerechtigkeiten wie »racial profiling« und ein gesellschaftliches Klima der Angst und des Misstrauens, die die Gesellschaft weiter spalten. Dies begünstigt wiederum das, was die Rechte zu kritisieren behauptet: die Entfremdung von Teilen der muslimischen Deutschen von der hiesigen Gesellschaft. Der »Islamische Staat« hat dies längst verstanden und rekrutierte schon 2016 seine Anhänger mit den rassistischen Wahlkampfreden von Donald Trump. Die autoritäre Rechte und die autoritären Islamfundamentalisten, die sich viel mehr ähneln, als ihnen lieb ist, sind wie Konjunkturprogramme füreinander, weil sie sich gegenseitig hochschaukeln. Das macht sie beide so brandgefährlich.
Konservativen und Rechten wird häufig Kompetenz in Sachen innerer Sicherheit zugesprochen, weil sie autoritär rumpoltern, weil sie ständig von »Sicherheit« reden und bei diesem Thema andauernd zu Wort kommen. »Sicherheit« ist auch deshalb ihr Lieblingsthema, weil sie damit die Massen davon ablenken können, dass ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik gegen deren materielle Interessen gerichtet ist. Und dass diese Politik überhaupt erst die Perspektivlosigkeit schafft, aus der die Kriminalität entsteht, die die Rechten zu bekämpfen vorgeben. Konservative und rechte Sicherheitspolitik ist aus all diesen Gründen das Gegenteil von kompetent: Sie ist ein hohes Sicherheitsrisiko.
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