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- Waldorfschule in Berlin
Privatschulen sind nicht für alle da
Die Weigerung einer Waldorfschule, das Kind eines AfD-Abgeordneten aufzunehmen, sorgt für eine Diskussion über die Offenheit Freier Schulen
Wie offen sind Schulen in freier Trägerschaft? Nach dem Anfang der Woche bekannt geworden war, dass eine private Berliner Waldorfschule dem Kind eines AfD-Abgeordneten die Aufnahme verweigert hat, ist eine Debatte über die Aufnahmepraxis an Privatschulen entbrannt.
Der Vorsitzende der Pädagogengewerkschaft GEW in Berlin, Tom Erdmann, kritisierte gegenüber »nd« den selektiven Zugang zu vielen Privatschulen. »Wenn es um den Zugang zur Schule geht, sortieren private Schulen stärker aus als öffentliche Schulen«, sagte Erdmann. Nicht selten würden Privatschulen die soziale und ethnische Trennung der Schülerschaft verstärken. »In Privatschulen ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, deren Eltern weniger Einkommen, keinen Hochschulabschluss oder einen Beruf mit geringem sozialen Ansehen haben, deutlich niedriger«, sagte Erdmann. Eltern, die auf Abgrenzung und Statussicherung bedacht seien, würden an Privatschulen beste Voraussetzungen dafür finden.
Sollte sich im Fall des an der Waldorfschule abgelehnten Kindes bewahrheiten, dass die politische Gesinnung der Eltern für die Entscheidung der Schule ausschlaggebend war, sei dies »in keiner Weise zu rechtfertigen«, sagte Erdmann.
Die Senatsbildungsverwaltung erklärte, dass staatlich anerkannte Ersatzschulen - so werden Privatschulen offiziell bezeichnet - grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung seien, welche Schüler sie aufnehmen. Die Auswahl dürfe allerdings nur nach pädagogischen und schulrelevanten Kriterien getroffen werden. Das in Berlin geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz würde eine Benachteiligung unter anderem aus Gründen der Weltanschauung »verhindern und beseitigen«.
Die Weigerung der Waldorfschule, das Kind des AfD-Abgeordneten an der Schule aufzunehmen, wird derzeit von der Schulverwaltung geprüft. Beate Stoffers, Sprecherin der Senatsbildungsverwaltung, sagte, dass Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) es »sehr kritisch« sehe, sollte die Schule aufgrund der politischen Meinung der Eltern zu ihrer Entscheidung gekommen sein.
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Georg Pazderski, erhob in einer Stellungnahme schwere Vorwürfe gegen die Schulleitung, sprach sogar von »Ausgrenzung« und »Sippenhaft«. »Leider zeigt sich einmal mehr, dass Toleranz und die Achtung politisch Andersdenkender für viele nur ein Lippenbekenntnis ist, das nur solange gilt, wie es nicht eingefordert wird«, so Pazderski. Auch für Waldorfschulen und andere Schulen in freier Trägerschaft müsse gelten, dass sie für alle Kinder offen sind, unabhängig von der politischen Überzeugung ihrer Eltern, forderte der AfD-Politiker.
Die Schulleitung der Waldorfschule hatte sich die Kritik an ihrer Entscheidung verbeten. Neben dem Kind des AfD-Abgeordneten hätten auch rund 100 andere Schüler zum neuen Schuljahr keinen Platz bekommen. Auf 30 Plätze hätten sich 140 Kinder beworben. Demnach war die Ablehnung an der Waldorfschule statistisch gesehen der häufigste Fall.
Volker Symall vom Deutschen Verband der Privatschulen betonte im Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb), dass für Schulen in privater Trägerschaft keine Aufnahmepflicht bestehe. Deshalb sei die Ablehnung eines Kindes auch ein regulärer Vorgang, der der Entscheidungshoheit des jeweiligen Trägers obliege.
Auch Carola Ehrlich-Cypra vom Elternnetzwerk Berliner Gemeinschaftsschulen sieht die generelle Kritik an Privatschulen in der Debatte kritisch. »Man kann nicht sagen, dass freie Schulen per se stärker ausgrenzen als öffentliche Schulen«, sagte Ehrlich-Cypra dem »nd«. Es komme stark auf den pädagogischen Ansatz und die inhaltlich-weltanschauliche Ausrichtung des Schulträgers an.
Von den 26 Gemeinschaftsschulen in Berlin gibt es mit der Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ) derzeit eine in freier Trägerschaft.
»Die ESBZ ist ebenso wie alle anderen Gemeinschaftsschulen dem Grundsatz verpflichtet, offen und zugänglich für alle Schülerinnen und Schüler zu sein«, sagte Ehrlich-Cypra. So würde die Schule die Zugangshürden möglichst niedrig legen, beispielsweise durch ermäßigtes oder wegfallendes Schulgeld für bestimmte Elterngruppen. Tatsächlich sind an der ESBZ, wie an allen Einrichtungen der Evangelischen Schulstiftung, Familien, die Sozialleistungen empfangen, von der Zahlung von Schulgeldern befreit. Für Kinder aus Pflegefamilien fällt ein Mindestbetrag an.
»Ein Unterschied der ESBZ zu den öffentlichen Gemeinschaftsschulen ist die starke Betonung des elterlichen Engagements«, sagt Ehrlich-Cypra. Drei Stunden pro Monat Mitarbeit der Eltern zum Beispiel in Arbeitsgemeinschaften sei verpflichtend. »Als Elternvertreterin begrüße ich dieses starke Engagement natürlich sehr.«
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