»Nationalisten und Patrioten sind Idioten«

Konstantin Wecker über Kapitalismus, Neoliberalismus und einen neuen Faschismus

  • Ralf Krämer
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Wecker, Sie haben aus aktuellem Anlass ein neues Album herausgebracht, eine Sammlung »antifaschistischer Lieder«. Wie faschistisch ist unsere Gesellschaft?

Ich habe die Befürchtung, dass es sehr schnell gehen könnte, dass Europa faschistisch wird. Viele Anzeichen deuten gerade darauf hin, nicht zuletzt die Ausschreitungen in Chemnitz vor wenigen Wochen. Das total Erschreckende für mich ist, dass ich mir noch vor zwei Jahren nicht hätte vorstellen können, dass so etwas möglich ist. Dass es so plötzlich passierte, macht mir Angst. Mein Aufruf an alle demokratisch gesinnten Menschen ist daher: Wir müssen jetzt zusammenhalten!

Konstantin Wecker

Als Reaktion auf eine von Rechtsextremen dominierte Demonstration im sächsischen Chemnitz hat Konstantin Wecker das Album »Sage Nein!« veröffentlicht. Darauf versammelt sind »antifaschistische Lieder« aus der langen Karriere des Münchener Musikers und Komponisten, zum Teil textlich aktualisiert oder auch mehrsprachig übersetzt. Im Interview mit Ralf Krämer spricht Wecker über den Erfolg von AfD und FPÖ, die Verbindung von Kapitalismus und Faschismus und erklärt, warum er mit dem Wort »Stolz« nicht viel anfangen kann. Foto: imago/Lindenthaler

Es gab schon in den letzten 30 Jahren immer wieder Ausschreitungen und Anschläge, die Anlass gaben, gegen Neonazis und Rassismus zu demonstrieren. Was macht den Unterschied aus?

Jetzt geht es um Menschen, die eigentlich von sich weisen würden, Nazis zu sein. Sie haben aber trotzdem dasselbe Gedankengut und kein Problem damit, sich mit Nazis abzugeben. Vor zehn Jahren gab es die bekennenden Neonazis, und der Rest der Gesellschaft hat sich von denen distanziert.

Sie halten nichts von der These, dass es auch in Deutschland schon lange ein größeres Spektrum potenzieller Wähler einer rechtspopulistischen Partei gibt, die sich aber jetzt erst zunehmend an die Öffentlichkeit trauen?

Doch, mittlerweile bin ich leider auch davon überzeugt.

Innerhalb der AfD scheint die Frage, wie rechts die Partei nun wirklich sein will, immer wieder umstritten.

Bei der AfD gibt es vielleicht noch ein paar, die sagen, dass sie sich nicht mit Nazis abgeben wollen. Aber sie tun es trotzdem. Auch in Österreich hat die FPÖ immer mal wieder versucht, sich ein etwas liberaleres Image zu geben. Aber lesen Sie mal Hans-Henning Scharsachs Buch »Strache – Im braunen Sumpf«. Da wird eindeutig belegt, wie stark zum Beispiel völkische Verbindungen und Burschenschaften in der FPÖ vertreten sind. Die sind dann nicht einfach rechts oder rechts außen. Das sind zum Großteil echte Nazis.

In einem Interview mit der »taz« hat Herbert Grönemeyer kürzlich gesagt, die deutsche Gesellschaft sei aufgeklärter, stabiler und nuancierter, als man denkt. Es sei denn, »man redet ihr noch fünf Jahre ein, dass sie es nicht ist«.

In einem Punkt muss ich ihm recht geben: Wir sind aufgeklärter. Die deutsche Gesellschaft hat ihre grausige Vergangenheit besser aufgearbeitet als andere, nicht zuletzt auch dank der 68er-Bewegung. Es gibt kein perfektes Aufarbeiten; wenn man allerdings an die Geschichte der Belgier, der Holländer, der Amerikaner, der Japaner oder Franzosen denkt – da sind dunkle Stellen, die bis heute nicht aufgearbeitet wurden. Aber anscheinend ist es doch heute so, dass viele Kreise überhaupt nicht mehr aufgeklärt sein wollen. Wenn Grönemeyer meint, dass es von Schaden sei, den Menschen immer wieder zu sagen: »Pass auf, es wird gefährlich!«, dann kann ich ihm nicht zustimmen.

In der neuen Version Ihres Liedes »Willy« sprechen Sie von Menschen, die der Neoliberalismus immer »reicher und gieriger« macht, während er »alle anderen in tiefste Verzweiflung und Verarmung stürzt«. Ist das nicht etwas zu wenig differenziert?

Das können Sie gerne so sehen. Ich bin der Meinung, dass der Neoliberalismus tatsächlich eine straffe Ideologie ist, die genau diese Spaltung der Menschen immer schon im Sinn hatte. Und genau das muss man auch so benennen. Überhaupt, wenn man über Antifaschismus spricht, muss man auch über den Kapitalismus reden. Es gibt ja den schönen Satz von Upton Sinclair: Faschismus ist Kapitalismus plus Mord. Zwei Monate vor Hitlers sogenannter Machtergreifung hat Goebbels an die 20 Industrielle eingeladen, darunter auch solche, deren Firmen bis heute Weltmarktbedeutung haben. Die durften dem Führer die Hand geben und haben im Endeffekt zugesagt, den Faschismus und die NSDAP finanziell zu unterstützen. Ohne deren Zusage hätte Hitler keine Chance gehabt. Auch im Moment ist bestimmten Kapitalinteressen die Demokratie wenig dienlich.

Weshalb die Wirtschaft zum Beispiel versucht, sogenannte Schiedsgerichte zu etablieren.

Unter anderem, ja. Das ist wirklich gefährlich. Im kapitalistischen Interesse liegt auch die mentale Beeinflussung der Menschen. Wenn ich zum Beispiel sehe, wie jetzt ein Mann wie Friedrich Merz gehypt wird, der nichts anderes ist als ein Wirtschaftsmann, ein Lobbyist ersten Grades, der niemals in die Politik gehen dürfte ... Da reg i mi auf. (lacht)

Der aktuellen Version Ihres Liedes »Sage Nein!« stellen Sie eine Erklärung voran: Nationalisten und Patrioten sind Idioten, weil sie stolz auf etwas sind, für das sie gar nichts können. Heißt das, man kann nur stolz auf etwas sein, was man selbst geleistet hat?

Ich kann keinen Grund sehen, warum man überhaupt auf etwas stolz sein sollte. 99 Prozent von dem, was einem im Leben passiert, hat mit Glück oder Pech zu tun. Ich bin jetzt 71 Jahre und habe dieses unglaubliche Glück gehabt, 71 Jahre lang ohne Hunger und Krieg leben zu dürfen. Die meisten Menschen in der Geschichte der Menschheit haben dieses Glück nicht gehabt. Erst mal weiß ich, dass dieses Glück natürlich auch erkauft ist, dadurch, dass man den Krieg woandershin getragen hat. Gleichzeitig birgt das aber auch die Verantwortung, menschlich nachzudenken und zu fühlen. Man stelle sich vor, ich hätte mit zwei Jahren meine Eltern im Bombenhagel verloren, wäre angeschossen worden als Kind, wäre daher traumatisiert. Da hätte ich ja ein Krieger oder Nazi werden müssen. Das ist ja das Schrecklichste, dass die Generation nach so einem Krieg ohne psychotherapeutische Behandlung aus ihrem Trauma gar nicht mehr herauskommt. Mein zweites Glück war, einen Beruf zu haben, der mir Spaß macht. Das ist ja auch eine Seltenheit.

In einem berühmten Protestsong singt James Brown: »Say it loud, I’m black and proud.«

Das kann ich verstehen, in dem Fall geht es ja um ein Politikum. Aber auf was soll ich stolz sein? Dass ich Bayer bin oder wie? Das leuchtet mir einfach nicht ein. (lacht) Aber sagen wir mal so: Worte sind Symbole. Die Frage ist, wie interpretiert man ein Wort? Ich geben Ihnen völlig recht, dass man das Wort Stolz auch anders belegen kann. Ich persönlich kann mit dem Wort nicht viel anfangen. Ich bin nicht stolz, ich freue mich einfach über gewisse Dinge.

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