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Das ist unser Haus
Ein Berliner Bündnis hat in diesem Jahr die Eigentumsfrage gestellt. Wie geht es weiter?
#besetzen steht auf dem Klingelschild der Großbeerenstraße 17a in Berlin-Kreuzberg. Geht man den Flur hoch in den ersten Stock, kommt man in die Wohnung, die im September von Aktivist*innen in Beschlag genommen worden ist. Hier ist der Sitz des Berliner besetzen-Bündnisses, das sich in diesem Jahr insgesamt 16 leerstehende Häuser angeeignet hat, seit es zuerst den Frühling und dann den Herbst der Besetzungen ausgerufen hat - es waren so viele wie schon lange nicht mehr in der Hochburg der Hausbesetzungen der 80er und 90er Jahre. Kurz vor Weihnachten wurde dann noch ein leeres Ladenlokal in Berlin-Neukölln für Obdachlose besetzt.
Mittlerweile wurden bis auf die Wohnung in der Großbeerenstraße alle Häuser geräumt. Im Wohnzimmer sitzen drei der Hausbesetzer*innen des Bündnisses, das 2018 für so viel Furore gesorgt hat, an einem kleinen Tisch. Es gibt Kaffee mit Kuh- oder Sojamilch, der helle Raum, der als Besprechungsraum für politische Gruppen genutzt wird, ist mit seiner geschmacklosen Safari-Tapete karg eingerichtet. »Insgesamt war es ein ziemlich gutes Jahr«, resümiert Lisa Sommer. »Es wurden stadtpolitische Debatten angestoßen, die schon lange hätten geführt werden sollen. Plötzlich wird wieder über Besetzungen als legitimes Mittel gegen Leerstand geredet.«
In der Tat zeigten sich viele aus der Stadtgesellschaft solidarisch mit den Besetzer*innen. Nachdem diese über Pfingsten neun Häuser kurzfristig in Besitz genommen hatten, hielten laut einer Umfrage im Juni 53 Prozent der Berliner*innen Hausbesetzungen für ein legitimes Mittel, um auf Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Bei Anhänger*innen der Linkspartei und der Grünen sprachen sich sogar 83 beziehungsweise 77 Prozent dafür aus. Das haben auch die Besetzer*innen gemerkt: »Sehr viele Menschen aus der Nachbarschaft haben das sehr gut aufgenommen«, sagt Kim Schmitz. »Es kamen super viele Leute verschiedener Altersstufen und fanden es total toll, dass endlich was mit den Häusern gemacht wird«, schwärmt Lisa Sommer. Auf einmal hätten Menschen, von denen man es nicht unbedingt erwartet hätte, Matratzen oder einen Kühlschrank vorbeigebracht.
Auch aus der Berliner Politik kamen durchaus wohlwollende Töne: Die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, nannte die Besetzung vor Ort angesichts der Notlage auf dem Wohnungsmarkt »gut und richtig«. »Wenn so viel Wohnraum durch Spekulation enteignet und das Recht zu wohnen angegriffen wird, ist Besetzen ein legitimes Mittel«, sagte seinerzeit auch die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linkspartei im Abgeordnetenhaus, Katalin Gennburg, dem »nd«. Sogar der Bundesvorstand der Partei solidarisierte sich mit der Initiative und sprach sich dafür aus, Hausbesetzungen zu entkriminalisieren.
Geräumt wurde am Ende trotzdem. Was folgte, war eine Debatte um ein Ende der Berliner Linie zur Räumung von Besetzungen innerhalb von 24 Stunden, die Linkspartei und Grüne abschaffen, SPD, CDU und FDP jedoch beibehalten wollen. Das Vertrauen der Besetzer*innen in die Politik des rot-rot-grünen Senats war jedoch dahin. »Meistens bleibt es bei Solidaritätserklärungen. Am Ende wird dann doch geräumt und Eigentum vor die Bedürfnisse der Menschen gestellt«, erklärt Schmitz resigniert. Die Bewegung richte sich jedoch ohnehin nicht an die Politik, sondern an die Zivilgesellschaft: »Wir setzen eher darauf, dass die Menschen die Sache selbst in die Hand nehmen.«
Die Aktivist*innen haben jedoch mehr zu verlieren als nur ihr Vertrauen in die Politik: 179 Anzeigen wegen Hausfriedensbruch haben sie bislang erhalten. »Eines unserer Ziele ist es, Besetzungen zu entkriminalisieren. Das wird jedoch nicht von heute auf gleich passieren«, sagt Sommer. Im Vordergrund stehe daher ein solidarischer Umgang mit den Angezeigten. Mit Aktionen soll jetzt Geld gesammelt werden. »Klar ist, dass niemand auf den Kosten sitzen bleibt, die auf uns zukommen.« Auch Lisa Sommer, Kim Schmitz und Camille Valtin vom besetzen-Bündnis haben Anzeigen erhalten. Abhalten lassen sie sich davon nicht, im Gegenteil: Sie wollen auf jeden Fall weitermachen.
Da sind sie nicht die Einzigen. Die Bewegung nimmt Fahrt auf, wird größer und vernetzt sich auch über Berlin hinaus: Als in Freiburg und Tübingen Häuser besetzt wurden, wurde direkt Bezug auf besetzen genommen, erzählt Sommer. »Das zeigt, dass etwas angestoßen wurde und die Leute eben nicht abgeschreckt sind. Es leben Zehntausende auf der Straße und haben keine Wohnung, während gleichzeitig die Mieten steigen und Häuser leer stehen. Da ist es irgendwie auch ein bisschen egal, ob es ein paar Anzeigen gibt.« Den Aktivist*innen ist klar, dass der Konflikt mit dem Staat zwangsläufig dazugehört, wenn man Besetzungen als Praxis etablieren will.
Wie geht es jetzt weiter? Wird es wieder einen Frühling der Besetzungen geben? »Es gibt viele Jahreszeiten« sagt Valtin und lacht. Momentan befinde man sich noch in einem Diskussions- und Auswertungsprozess. Fest steht, dass es auch im nächsten Jahr weitergehen wird. Dann wollen sie sich stärker mit anderen stadtpolitischen Kämpfen vernetzen. Was beim Google-Campus schon ganz gut geklappt hat, soll auch auf andere Projekte ausgeweitet und so eine breitere Bevölkerungsgruppe angesprochen werden. Neben Besetzungen geht es ihnen auch darum, Zwangsräumungen zu verhindern und Mieter*innen zu organisieren. »Es gibt ja ein paar linke Projekte, die zum Ende des Jahres geräumt werden sollen, die Liebig, das Syndikat, die Meuterei. Da wollen wir uns mehr einbringen und gegenseitig unterstützen«, sagt Sommer.
Auch das Mietenwahnsinn-Bündnis biete viele Anknüpfungspunkte. »Es gab ja im April die Demo gegen Verdrängung mit Zehntausenden Menschen, die alle ähnliche Forderungen haben wie wir«, sagt Valtin. Hier gebe es durchaus Potenzial zur Zusammenarbeit. »Wichtig ist dabei, dass die Bewegung von unten kommt«, stellt Sommer klar. Langfristig geht es den Aktivist*innen jedoch nicht nur darum, auf Leerstand hinzuweisen, ihr Ansatz ist radikaler: Sie wollen die Eigentumsfrage stellen. »Hinter unserer stadtpolitischen Entwicklung steht, dass Profit wichtiger ist als soziale Teilhabe oder Wohnraum für Menschen. Diese Logik wollen wir infrage stellen«, sagt Sommer.
Deshalb seien Freiräume wie die besetzte Wohnung in der Großbeerenstraße 17a so wichtig. Hier könnten sich die Leute organisieren und vernetzen. Ein offener Raum für den Kiez soll hier entstehen, in dem sich Nachbar*innen begegnen und über ihren Alltag und ihre Probleme austauschen können. Ob es dazu kommt, steht jedoch in den Sternen. Zurzeit laufen noch die Verhandlungen mit dem Eigentümer. Bis Mitte Januar sind sie noch geduldet.
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