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  • Sagenhafte Welt des Agamemnon

Goldgesichter aus der Bronzezeit

Schon bevor die Griechen klassisch wurden, kannten sie Souflaki: Eine einmalig bestückte Schau in Karlsruhe erkundet das antike Mykene.

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 4 Min.

Hochkulturen können tief fallen. Ins Dunkel der Geschichte stürzen, verschluckt und begraben werden vom Laufe der Zeit. Wie die Mykener. Sie waren das erste Volk der Antike, das auf dem europäischen Festland Stadt- und Palastanlagen errichtete, die ihren Namen verdient hatten. »Weiß und glänzend wie Öl«, sang Homer, seien die Steine vor dem Königssitz in Mykene. Für mehr als 2000 Jahre waren die Verse der »Odyssee« und der »Ilias« die beinahe einzigen Zeugnisse jener Zivilisation, deren Zentrum in Mittel- und Südgriechenland lag. Als sich im 19. Jahrhundert die neue Disziplin der Archäologie formierte, galt deren Interesse zunächst dem klassischen Hellas, nicht den bronzezeitlich geprägten Mykenern. Bis Heinrich Schliemann kam.

1876 schaufelt der spätere Troja-Entdecker auf dem Peloponnes ein echtes Prunkgrab frei. Darin bronzene Schwerter und silberne Kelche, alabasterne Vasen, eine goldene Maske und ein Toter. Der Spatenwissenschaftler aus Mecklenburg jubelt. Sofort schickt er ein Telegramm los: So wie den »wunderbar erhaltenen« Leichnam habe er sich Agamemnon vorgestellt, Homers sagenhaften Herrscher von Mykene und Heerführer der Griechen vor Troja.

Ein Teil von Schliemanns Funden steht nun am Anfang einer einmalig bestückten Ausstellung des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe. Rund 400 Objekte erzählen dort von Götterglauben, Krieg und Alltag im mykenischen Einflussgebiet, das sich zuletzt bis nach Kreta erstreckte. Die meisten Exponate stammen aus renommierten griechischen Sammlungen, nicht wenige sind zum ersten Mal überhaupt in Deutschland zu sehen. Mit den vielen Fünf-Sterne-Leihgaben bedankt sich Athen auch dafür, dass die Badener 2014 zwei auf dunklem Weg ins Karlsruher Landesmuseum gelangte Kykladenidole an Griechenland zurückgegeben haben.

Doch zurück zu den Mykenern. Wer war das Aufsteigervolk aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend? Kein Königreich im modernen Sinne. Eher ein Verbund lokaler Fürstentümer, von denen die Burgstadt Mykene auf dem Peloponnes als das bedeutendste gilt. Es muss eine reiche, arbeitsteilig organisierte Gesellschaft gewesen sein. Wie sonst erklären sich die vielen kostbaren Grabbeigaben: Amethysthalsketten, Diademe und mit Laufspiralen verzierte Tassen aus purem Gold? Mykenische Städte trieben nicht nur im gesamten östlichen Mittelmeerraum Handel. Schmuck aus Bernstein und eine im niedersächsischen Dohnsen gefundene Bronzetasse lassen auch auf einen regen Warentausch mit dem Norden schließen.

Die in sogenannter Linear-B-Schrift verfassten Tontäfelchen mögen visuell wenig eindrucksvoll sein, doch sie belegen, dass die Bürokratie schon 1500 v. Chr. ihren Platz in der Welt hatte. Die eingeritzten Notationen listen die Namen von Arbeiterinnen auf, die Leistungen abgabepflichtiger Bauern und rituelle Opfer. An Zeus, Hera oder Athene, denn die Mykener verehrten dieselben olympischen Götter wie spätere Griechen. Freilich sind die Statuetten mit den beschwörend erhobenen Armen noch nicht differenziert genug gearbeitet, um die jeweilige Gottheit zu identifizieren. An der Spitze der irdischen Hierarchie indes stand der Anax, der Fürst, gestützt auf die Macht seiner Krieger. Jedem toten Kämpfer wurden bis zu acht verschiedene Schwerter für die Reise ins Jenseits mitgegeben.

Es ist eine Ausstellung geworden, wie man sie sich wünscht. Sinnliches Erlebnis und Information gehen Hand in Hand. Einen Beitrag dazu leistet nicht zuletzt die szenografische Architektur. Schwarze Wände lassen Gold und Geschmeide noch kostbarer aufstrahlen, ehrfürchtig wie ein Heiligtum empfängt das Rund eines Seitenkabinetts den Besucher. Taghell und diesseitig dagegen ist die Rekonstruktion eines Megaron, des Kult- und Thronsaals mykenischer Paläste. Baumdicke Säulen flankieren das Opferfeuer in der Mitte, auf dem Boden tummeln sich bunte Delfine und stilisierte Oktopoden, meerblau grundierte Wandbilder erzählen von Kriegstaten. Beim Zeus, hier ist es schön!

Der Wein aus den Amphoren muss im Megaron reichlich geflossen sein, als Trankspende an die Götter wie zu profanen Anlässen. Und zu beißen gab es auch gute Sachen. Einem tönernen Grill zufolge kannte man bereits Souflaki.

Ob im Megaron von Mykene aber tatsächlich jemand namens Agamemnon thronte, verraten die Linear-B-Täfelchen nicht. Fest steht nur: Das pfannkuchenrunde Goldgesicht, das da aus der Karlsruher Vitrine herausleuchtet, kann nicht den homerischen Helden zeigen. Ebenso wenig wie eine zweite, wenig später von Schliemann gefundene Edelmetallmaske, deren Original leider nicht auszuleihen war. Sie ist noch reicher gearbeitet, weswegen die erste den Titel »Maske des Agamemnon« an die zweite abtreten musste. Beide aber datieren aus einer Epoche vor dem Krieg um Troja.

Wie die legendäre Stadt auf der anderen Seite der Ägäis fand auch die mykenische Kultur kein gutes Ende. Unbekannte Invasoren plünderten und brandschatzten die Paläste. Vielleicht hatten die Eindringlinge so ein leichtes Spiel mit ihren Opfern, weil diese durch innerdynastische Fehden geschwächt waren. Einen Familienzwist im Hause Agamemnon jedenfalls beschreibt der Tragödiendichter Aischylos, allerdings erst im fünften vorchristlichen Jahrhundert. Mykene war da schon lange verschluckt und begraben vom Laufe der Zeit.

»Mykene. Die sagenhafte Welt des Agamemnon«, bis 2.6.2019, Badisches Landesmuseum, Schloss Karlsruhe

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