Potse verweigert Übergabe

Während das Jugendzentrum Drugstore die Schlüssel übergibt, wird nebenan besetzt

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein vierstöckiges Haus in Schöneberg: Die Decken sind hoch, die Architektur großzügig angelegt mit weiten Räumen und schlichter Fassade. Zwei der oberen Etagen haben verspiegelte Fenster - sie sehen unscheinbar und wie die eines ganz normalen Bürogebäudes aus: Hinter ihnen wird gearbeitet für die nächste Start-Up-Karriere. Doch eine Reihe weiter tiefer ist das anders: Die Fenster sind mit Parolen bemalt und Transparente hängen heraus. Zwei vermummte Personen stehen dahinter. Für sie ist klar: »Potse bleibt!«

Lesen Sie zum Thema den Kommentar von Marie Frank: »Lieber arm als tot«.

Das ist nicht selbstverständlich: Die Räumlichkeiten der Jugendzentren Potse und Drugstore sollten am vergangenen Montag eigentlich dem Bezirk übergeben werden. Nach 46 Jahren ist an der Potsdamer Straße 180 Schluss: Die Kollektive müssen die Schlüssel abgeben. Der Trägerverein des Drugstores kam der Forderung nach, das Kollektiv der Potse nicht. Das Drugstore-Kollektiv habe sich »dagegen entschieden, die Räumlichkeiten zu besetzen oder in den Räumlichkeiten zu bleiben, da eine mögliche Schadensersatzklage des Eigentümers den Trägerverein des Drugstores, den SSB e.V. (Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin e.V.), finanziell schädigen oder in den Ruin treiben könnte«, heißt es in einer Mitteilung.

»Trotz der Notwendigkeit, unterschiedlich auf den Angriff auf unsere Räume zu reagieren, bedeute dies kein Ende des Drugstore/Potse-Kollektivs«, heißt es weiter. »Wir werden auch weiterhin gemeinsam kämpfen. Wir bilden immer noch eine Einheit gegen Verdrängung und Ausgrenzung«, so die Kollektive. Die Potse-Betreiber besetzten schon während der Schlüsselübergabe die Räume des traditionsreichen Jugendzentrums. Nicht alle Schlüssel landeten also bei dem Vertreter des Bezirks-Jugendstadtrats Oliver Schworck (SPD).

Der hatte sich den Vormittag an Silvester auch anders vorgestellt: »Das ist eine große Enttäuschung«, sagt er »nd« kurz nach den Ereignissen. Für ihn sei die Aktion ein Vertrauensbruch, da Absprachen nicht eingehalten worden sind. Trotzdem gab er sich weiter offen für Gespräche und blieb noch einige Zeit am Ort des Geschehens, um mit den Demonstranten vor der Potse zu diskutieren und auf Vorwürfe einzugehen.

Das loben auch die Betroffenen: »Die Politik hat sich sehr lange und geduldig den Gesprächen gestellt«, sagt Simon vom Potse-Kollektiv dem »nd«. Seinen Nachnamen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Es gehe für das Kollektiv nicht um einzelne Politiker, sondern um das Versagen der Politik im Allgemeinen. Für die Jugendlichen sei die Besetzung das letzte Mittel, um Druck auf die Politik auszuüben und gehört zu werden - nicht nur auf Bezirksebene, sondern auch beim rot-rot-grünem Senat. Denn ihr Zentrum sei kein Einzelfall: In der ganzen Stadt sind alternative Projekte bedroht, wie beispielsweise die Neuköllner Kiezkneipe Syndikat oder das Hausprojekt Liebig 34 in Friedrichshain, die am gleichen Tag geschlossen werden sollten. Mit ihnen solidarisieren sich die Jugendlichen, denn auch diese Projekte gaben ihre Schlüssel an Silvester nicht ab.

Unterstützt wurden die Aktivisten von rund 150 Menschen , die am Montag vor dem Gebäude demonstrierten. Sie forderten, ebenso wie die Besetzer, die jetzigen Räume zu behalten, auch wenn diese das nicht mehr als realistisch ansehen: »Uns geht es darum, adäquate Ersatzräumlichkeiten zu bekommen«, sagt Jana, die auch im Kollektiv aktiv ist. Die jetzigen Ausweichräumlichkeiten seien unzulänglich, da dort keine Konzerte und Bandproben stattfinden können und nur die Hälfte des Platzes vorhanden sei. In einer Mitteilung bezeichnen sie diese Möglichkeit als »Witz«. Schworck versucht derweil auch dafür eine Lösung zu finden: Er ist in Gesprächen mit anderen Anbietern, die zusätzlich einen Konzertsaal anbieten könnten. Unter anderem gibt es Gespräche über ein temporäres Ausweichquartier im Gebäude des ehemaligen Tempelhofer Flughafens. Doch dafür gilt das Gleiche wie für die schon organisierten Räume unweit vom jetzigen Standort: Sie stehen nicht sofort zur Verfügung. Die Kollektive müssen sich noch gedulden.

Derweil soll nun schon der neue Investor die Räumlichkeiten ausgehändigt bekommen. Dieser möchte dort einen neuen Co-Working-Space, also eine Bürofläche zur Einzelvermietung von Schreibtischen, einrichten. Rent24 hat bereits mehrerer solcher Einrichtung in der Umgebung in Betrieb. Wenige hundert Meter entfernt von den Jugendzentren ist ein Standort des Unternehmens in der ehemaligen Zentrale der Berliner Verkehrsbetriebe, die vor Jahren verkauft wurde. Auch dort wird der Protest gegen die Verdrängung zur Profitmaximierung sichtbar: Am Silvestermorgen ist die Fassade großflächig mit roter Farbe besprüht worden.

Wie aussichtsreich die Besetzung ist, ist schwer absehbar. Zuerst muss der neue Nutzer zivilrechtlich die Herausgabe der Räume verlangen. Erst dann kann die Polizei räumen. Freiwillig wollen die Besetzer jedenfalls nicht gehen: Sie wollen so lange bleiben, bis die alten Räume wieder geöffnet werden können oder andere Räume zur Verfügung stehen, so Simon. »Wir möchten diesen Kulturraum weiter erhalten.«

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