Es hakt beim Vorkaufsrecht

Rekord-Immobilienpreise behindern Bezirke beim Milieuschutz - wie gerade in Mitte

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Hoffnung der Bewohner der Waldstraße 37 in Moabit könnte enttäuscht werden. Für den aus einem Vorderhaus und zwei Hinterhäusern bestehenden Komplex mit 30 Wohnungen konnte das Vorkaufsrecht bisher nicht ausgeübt werden. Denn die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) sah sich außerstande, in den Kaufvertrag einzutreten. Rund sieben Millionen Euro soll der Kaufpreis nach nd-Informationen betragen haben, gar nicht so weit weg vom Verkehrswert von 6,6 Millionen Euro. Käuferin ist eine luxemburgische GmbH, die vor nicht einmal einem Jahr von den Immobilieninvestoren Round Hill aus Großbritannien sowie Ivanhoé Cambridge aus Kanada gegründet wurde, wie aus dem luxemburgischen Handelsregister hervorgeht.

Die WBM selbst will sich nicht äußern, die Senatsverwaltung für Finanzen war jedoch am Freitag dazu bereit. »Tatsächlich ist der Sanierungsbedarf des Gebäudes sehr hoch«, heißt es dort auf nd-Anfrage. Die Modernisierung »würde die aktuellen personellen Kapazitäten der WBM deutlich übersteigen«, so die Finanzverwaltung weiter. Aus diesem Grund sei bisher kein Ankauf getätigt worden. Selbstverständlich spiele »auch der finanzielle Aspekt eine große Rolle«, erklärt ein Sprecher. »Trotz Förderkulisse ist der Ankauf für die WBM nicht zu stemmen.«

»Es wird noch mit hoher Intensität geprüft«, erklärt der zuständige Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe (SPD) auf nd-Anfrage. Nachdem ein zweites landeseigenes Wohnungsunternehmen abgewunken hatte, prüft nun eine weitere Wohnungsbaugesellschaft auf Wunsch des Bezirks und der Finanzverwaltung den Ankauf, so Gothe weiter. Die Frist dafür endet nach Redaktionsschluss dieser Seite.

»Dass der Vorkauf zu scheitern droht, ist katastrophal«, sagt LINKE-Politiker Stephan Rauhut, der bei der letzten Bundestagswahl als Direktkandidat in Mitte angetreten war. Ihn verwundert, dass die WBM in ihrer Kalkulation der Wirtschaftlichkeit dem Vernehmen nach ein sogenanntes Mietausfallwagnis von sieben Prozent angenommen haben soll. »Das ist viel zu hoch«, sagt Rauhut. Bei dem Projekt REFO-Campus habe man mit zweieinhalb Prozent Leerstand gerechnet. »Die Kreditgeber hatten keine Einwände«, berichtet er.

Dass die WBM möglicherweise freundlicher kalkulieren könnte, steht auf einem Blatt. Auf einem anderen Blatt stehen die extrem hohen Kaufpreise, die alle Bezirke vor das Problem stellen, ihr prinzipiell vorhandenes Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten überhaupt ausüben zu können. Ohne diese glaubhafte Drohung sind Investoren nicht bereit, Abwendungsvereinbarungen zu unterzeichnen, die ihnen erhebliche Zugeständnisse bei modernisierungsbedingten Mietsteigerungen abverlangen und so Mieter vor Verdrängung schützen.

»Ende vergangenen Jahres gab es in Friedrichshain-Kreuzberg auch zwei Vorkaufsfälle, bei denen es wegen der Kaufpreise Spitz auf Knopf stand«, berichtet Katrin Schmidberger, Mietenexpertin der Grünen im Abgeordnetenhaus. »Das finanzpolitische Kriterium darf nicht das einzig ausschlaggebende sein«, fordert sie. Immerhin konnten im Nachtragshaushalt zusätzliche Stellen in den Bezirken für die Milieuschutzgebiete verankert werden, die sogar nachträglich für bereits bestehende Gebiete zuerkannt wurden. »Das ist ein Erfolg, der auch bei der Ausübung von Vorkaufsrechten hilft«, sagt Schmidberger. Das sei dringend nötig. Bisher sei es schon vorgekommen, dass zuständige Stadträte am Wochenende selbst Briefe an die Mieter eingetütet haben, weil die Personaldecke so dünn war.

Der Neuköllner Stadtentwicklungsstadrat Jochen Biedermann (Grüne) freut sich derweil, dass er wohl noch im Februar die zweite für Vorkaufsrechtsfälle zuständige Personalstelle wird besetzen können. »Dann können wir unsere Arbeit endlich etwas systematischer machen«, sagt er. Auch Biedermann schlägt sich mit einem Vorkaufsfall herum, bei dem der hohe Kaufpreis des Hauses große Probleme bereitet. Doch weil der Verkehrswert so hoch liegt, wird sich der Kaufpreis nicht mindern lassen.

»Berlin muss sich entscheiden, wie es damit umgehen will«, erklärt der Stadtrat. »Es kann nicht sein, dass ein Käufer weiß: Wenn ich noch 300 000 Euro drauflege, wird das Vorkaufsrecht garantiert nicht ausgeübt werden«, so Biedermann. »Damit werden wir auf Dauer nichts mehr erreichen gegen die Verdrängung.«

Dabei habe es durchaus erfreuliche Entwicklungen gegeben, wie die Verschärfung der Abwendungsvereinbarungen, in denen inzwischen auch die Einhaltung der Mietpreisbremse bei Neuvermietungen gefordert wird. »Und zwar mit Beweislastumkehr«, sagt Biedermann. Der Hauseigentümer muss also beweisen, dass er so gründlich investiert hat, dass er an die Regelungen der Mietpreisbremse nicht mehr gebunden ist. »Das ist mit den Einschränkungen im Milieuschutzgebiet nur schwer möglich«, erklärt der Stadtrat. Nun sei es an der Stadtentwicklungsverwaltung, eine neue einheitliche Abwendungsvereinbarung für alle Bezirke zu entwickeln, um die Auseinanderentwicklung zu stoppen, fordert Biedermann.

»Es braucht eine einfache und praktikable Regelung, wie die Bezirke die spekulativen Kaufpreise senken können«, fordert der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. Eine Forderung, die - wie so oft in Fragen des Mieterschutzes - in Richtung Bund zeigt. Bis es soweit ist, wird Berlin wohl mehr Geld in die Hand nehmen müssen.

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