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Bolton in Ankaras Fettnäpfchen
Türkei will nach Ende der US-Präsenz in Syrien »Wurzeln« der Radikalisierung bekämpfen
Es sollten Nachbereitungsarbeiten sein, für die John Bolton, Sicherheitsberater des US-Präsidenten, in die Türkei geschickt worden war. Donald Trump hatte kurz vor Weihnachten zur allgemeinen Überraschung den Rückzug aller US-Militärangehörigen von syrischem Territorium angekündigt. Unerwartet war diese Mitteilung auch für Trumps Außen- und Verteidigungspolitiker gekommen. Der Abzugsbefehl durchkreuzt ihre strategischen Pläne in Syrien, die sich, auch wenn es von vielen Seiten gebetsmühlenartig wiederholt wird, nicht aus Sorge um ein Wiedererstarken des Islamischen Staates (IS) und schon gar nicht aus Sympathie mit den Autonomiebestrebungen der Kurden in Nordsyrien befinden.
Das Pentagon wollte mit der logistischen Unterstützung der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) unter der Losung des Kampfes gegen den IS-Terrorismus den Fuß in der Tür nach Syrien behalten. Dem Präsidenten ging es dagegen jetzt nach der Schlappe bei den Zwischenwahlen um Punkte bei den Demoskopen. Die hatten ihm angezeigt, dass die Amerikaner im Moment sehr wenig von Auslandseinsätzen halten. Nur deshalb verkündete er den Rückzug aus Syrien und nicht etwa weil der Aufenthalt von US-Militär in Syrien auf keinerlei völkerrechtlicher Grundlage beruhte.
Dies alles geschah zur großen Zufriedenheit des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Trumps Schritt begrüßt und versprochen hatte, den »Kampf gegen den Terrorismus« in Syrien fortzusetzen. Allerdings versteht Erdogan darunter weniger den Krieg gegen den IS als vielmehr den gegen dessen Gegner im Norden Syriens, die YPG. »Präsident Trump hat die richtige Entscheidung getroffen«, schrieb Erdogan am Montag in der »New York Times«. Er wolle nach dem Abzug der US-Amerikaner aus Syrien dort die »Wurzeln der Radikalisierung« beseitigen.
Bolton sollte die Angelegenheit nun etwas entschärfen; z. B. mit Hinweisen wie: der Präsident habe nicht zur Eile gedrängt, der IS sei ja noch nicht endgültig besiegt und ähnlich hinhaltenden diplomatischen Floskeln. Was Bolton allerdings tat, war etwas anderes, denn er mag vieles sein, nicht aber ein Diplomat. Schon als UN-Botschafter von George Bush jun. fiel er mehr durch rüde Attacken als Verhandlungsgeschick auf.
Mag das seinerzeit von Bush durchaus beabsichtigt gewesen sein, diesmal war das Resultat seines Auftretens wohl kaum im Sinne seines Präsidenten. Bolton hatte auf dem Weg in die Türkei in Israel Station gemacht und dort recht offenherzig über die Vorstellungen der USA geplaudert: Washington wolle nicht als unzuverlässiger Bündnispartner gelten und wolle daher von der Türkei Sicherheitsgarantien für die YPG in Syrien fordern. Außerdem werde er verlangen, dass die Türkei ihre militärischen Handlungen auf syrischem Boden mit den USA abstimme.
Das Echo aus Ankara von dem in dieser Frage sehr hellhörigen Erdogan kam umgehend. »John Bolton hat einen schweren Fehler begangen«, sagte Erdogan dazu am Dienstag laut dpa in einer Rede im Parlament in Ankara. »Die Botschaft, die Bolton von Israel aus erteilt hat, ist keine, die wir akzeptieren und schlucken können.« Damit war der Besuch gelaufen. Es gab kein Treffen und keinen gemeinsamen Auftritt mit Erdogan. Selbst der Außen-, der Verteidigungsminister und der Geheimdienstchef schickten nur ihre Stellvertreter zum Gespräch mit dem so brüskierten Bolton. Die US-Botschaft teilte am Nachmittag mit, da ein Treffen mit dem Staatspräsidenten derzeit nicht möglich sei, werde Bolton bald wieder abreisen.
Eine öffentliche Begegnung hatte Bolton so lediglich mit seinem Amtskollegen auf türkischer Seite, Ibrahim Kalin. Dieser aber feuerte noch einmal, auch gar nicht diplomatisch, Breitseiten gegen Boltons Mission: So wies Kalin laut dpa alle Forderungen der USA nach Sicherheitsgarantien für die YPG in Syrien zurück. Vor Journalisten in Ankara betonte er, niemand solle erwarten, dass die Türkei einer Terrororganisation Garantien gebe. Im Hinblick auf eine geplante Offensive der Türkei gegen kurdische Truppen in Nordsyrien sagte er, man werde Einsätze koordinieren, aber »nicht um Erlaubnis bitten für den Kampf gegen den Terror«. Für Boltons Reise ist das somit ein Reinfall auf der ganzen Linie. Was es für die Kurden in Syrien bedeutet, steht dahin. Wenn sie gut beraten sind, haben sie ihre Kontakte zu Damaskus und Moskau intakt gehalten.
Am Tag von Boltons Pleite in Ankara machte sich auch US-Außenminister Mike Pompeo auf zu einer Nahostreise. Acht arabische Länder, beginnend mit Jordanien, stehen auf dem Programm. Sie alle sind US-Verbündete in der Region, und auch Pompeo dürfte es vornehmlich um Syrien gehen. Pompeo seinerseits dürfte gefragt werden, was denn die künftige US-Strategie in Syrien sei, wenn es denn eine gibt. Pompeo bekräftigte auf dem Flug nach Amman, man spreche nicht über Zeitpläne. Er vermied eine Aussage, ob bereits die ersten der etwa 2000 US-Militärangehörigen aus Syrien abgezogen sind.
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