Vorgeschoben, falsch, verständlich

Die Reaktionen auf Habecks Rückzug aus Twitter und Facebook sind laut und gehen weit auseinander

  • Lotte Laloire
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Entscheidung des Bundeschefs der Grünen, Robert Habeck, Twitter und Facebook nicht mehr zu nutzen, hat eine weitere Welle von Reaktionen ausgelöst. In einem Video vom Sonntag hatte der Politiker suggeriert, dass Thüringen nicht frei und demokratisch sei, sondern dies erst werden müsse - und damit viele aufgeregt.

Als Begründung für den Ausstieg führte der als bedacht geltende Schriftsteller auf seinem Blog zweierlei an: Zuerst den Datendiebstahl, von dem auch er und seine Familie betroffen gewesen seien. Ausführlicher ist der reumütige Teil, den Habeck auch vor der Presse wiederholt: »Was das gestern hochgeladene Video angeht, so war das einfach nur dämlich.« Er fühle sich »nicht immun« gegen die auf Twitter herrschenden spaltenden und polarisierenden Tendenzen und sage deshalb »bye bye, Twitter und Facebook«.

Das erklärte der unabhängige Experte vom »Otherwise Network«, Jürgen Geuter, auch bekannt als »tante«, dem »nd« so: »Der Politiker befindet sich nach dem Datendiebstahl und durch den Wahlkampf in einer extremen Stresssituation.« Geuter nannte es »absurd«, Twitter für skandalöse Aussagen zum »Sündenbock« zu machen. Das umstrittene Video Habecks sei auf dessen eigenem, sondern auf dem offiziellen Parteikanal veröffentlicht worden. Die Aussagen seien nicht als Tweet abgesetzt worden, sondern in der Offline-Welt entstanden.

Die Reaktionen auf den Ausstieg fielen heftig und gemischt aus. Aus Habecks Partei kam Verständnis von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Er sagte am Dienstag: »Das Zwitschern der Vögel im Frühjahr ist mir wichtiger, als dass ich selber twittere.«

Geuter gibt zu bedenken, dass auch Konservative sich nun in ihrer Ablehnung von sozialen Medien bestätigt fühlten. Kritiker Habecks monierten, dass andere Politiker es trotz aller Herausforderungen auch schafften, sich differenziert zu äußern. Dass Twitter an sich nicht das Problem ist, findet etwa die Netzexpertin und Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Anke Domscheit-Berg. Sie sagte dem »nd«: »Twitter ist das, was man daraus macht.« Trotzdem fordert auch sie, dass die Plattform sicherer wird. Ein anderes Argument, das Geuter zur Verteidigung von Twitter anführt: Hass und Rechtspopulismus habe es bereits lange vor der Erfindung der Internetdienste gegeben.

Als »falsch« bezeichnete der Publizist Hajo Schumacher im Deutschlandfunk Habecks Entscheidung, da man Twitter nicht Trump und Co. überlassen dürfe. »Egal« war Habeck indes dem Juso-Chef Kevin Kühnert sowie Jan Korte, dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag. So fragte Korte auf Twitter scherzhaft, ob es zu Habecks Verzicht heute noch einen ARD-Brennpunkt geben solle. Bedeutsam ist der Rückzug laut Medienexperte Wolfgang Schweiger, weil er eine Zäsur für die Politik im Internet darstelle. Erstmals gebe ein Politiker zu, dass für ihn das Tempo, die Direktheit und Spontaneität in den sozialen Medien persönlich gefährlich seien, wie der Professor für Kommunikationswissenschaft der »Augsburger Allgemeinen« sagte. Ein anderer Grund für das große Interesse an der Entscheidung könnte auch sein, dass Grüne im Netz offenbar besonders gehasst werden. So ernteten bereits Cem Özdemir und Katharina Schulze in den letzten Tagen für ihre klimaschädlichen Flugreisen neben sachlicher Kritik auch viel Häme.

Ebenfalls von Twitter verabschiedet hat sich am Montag die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann. Ihr Tweet »Nazis raus« vom 1. Januar belegte noch eine Woche später den ersten Platz im deutschen Twitter-Trend und sorgte sowohl für Hass als auch für Solidarität. Auch hier entzündete sich der Hass vor allem an Diekmanns ironischer Antwort: Nazis seien alle, die nicht Grüne gewählt hätten.

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