Fallbeile aus Breslau
Andenken im Strafgefängnis
Erbaut 1895 im damaligen Breslau, spiegelt das Wrocławer Strafgefängnis Nr. 1 und die Geschichte der dort inhaftierten politischen Gefangenen den Mikrokosmos der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Noch heute bietet der düstere Bau aus roten Ziegelsteinen Raum für bis zu 1375 Gefangene.
Zwischen 1917 und 1918 saß Rosa Luxemburg hier ihre »Schutzhaft« zur »Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs« ab. In ihren Gefängnisbriefen ist überliefert, unter welchen Bedingungen sie in der damaligen Kletschkaustraße lebte. Seit ihrer Verlegung aus Wronke bei Posen hatten sich die Haftbedingungen für Luxemburg verschlechtert. Im August 1917 schrieb sie an Sophie Liebknecht: »Was mir hier fehlt, ist natürlich die relative Bewegungsfreiheit, die ich dort hatte, wo die Festung den ganzen Tag offen stand, während ich hier einfach eingesperrt bin, dann die herrliche Luft, der Garten und vor allem die Vögel ... Hier gibt es auf dem großen gepflasterten Wirtschaftshof, der mir zum Spaziergang dient, nichts zu entdecken.« In Breslau erlebte sie, wie Büffel, die als Lastentiere eingesetzt wurden, von Soldaten grausam misshandelt wurden. In tiefer Verzweiflung identifizierte sie sich mit einem der blutig geschlagenen Tiere. Darüber schreibt sie im Dezember 1917: »Wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht.«
In Gefangenschaft trauerte Rosa Luxemburg um ihren Freund, den Arzt Hans Diefenbach, der zur gleichen Zeit an der Westfront des Ersten Weltkrieges gefallen war. Was muss in ihr vorgegangen sein, als sie von der Machtübernahme der Bolschewiki in Russland hörte. Hier verfasste sie im Frühherbst 1918 auch das Manuskript »Zur russischen Revolution«, die den berühmten, später viel diskutierten und oft missverständlich interpretierten Satz »... Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden ...« enthielt. Erst die revolutionären Ereignisse im November 1918 brachten für Rosa Luxemburg die Freiheit. Doch die sollte nur kurz andauern und mit ihrer Ermordung am 15. Januar 1919 in Berlin enden.
Während der faschistischen Diktatur der Nationalsozialisten wurde das Gefängnis ein wichtiger Bestandteil der Breslauer Topographie des Terrors. Hier wurden Häftlinge verhört, verwahrt oder hingerichtet. Davon zeugt etwa eine Gedenktafel, die an polnische Hochschullehrer der Krakauer Jagiellonen-Universität erinnert, die 1939 im Zuge der »Sonderaktion Krakau« von hier in das KZ Sachsenhausen gebracht wurden. Oder ein kleines Emailleschild an der Außenmauer, das einen jungen Mann in tschechischer Fliegeruniform zeigt. Wie František Červinka, der nur 24 Jahre alt wurde, wurden bis zu 1085 Gefangene hier ermordet. Ein Fallbeil der Breslauer Guillotine wurde nach der Befreiung durch die Rote Armee als Kriegsbeute mitgenommen und im Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges in Kiew gezeigt. Ein zweites gehört heute zur Dauerausstellung »1000 Jahre Breslau« des Stadtmuseums Wrocław.
Der Gefängnisbau überlebte die schweren Kämpfe um die Stadt - von Hitler in den letzten Kriegsmonaten zur Festung erklärt - nahezu unbeschadet. Nach der Kapitulation am 6. Mai 1945 wurden die Täter von einst zu Insassen des Gefängnisses. Die Zellen wurden im nunmehr polnischen Wrocław von SS- und SA Männern, Volksdeutschen, NSDAP-Mitgliedern und Wehrwolf-Angehörigen belegt, zeitweise waren es bis zu 4300 Gefangene. Der Breslauer Antifaschist und KZ-Überlebende Fred Löwenberg hätte hier beinahe sein Leben verloren, als er aufgrund einer Denunziation gemeinsam mit ehemaligen KZ-Wachleuten inhaftiert und von Mitinsassen und Sicherheitskräften gleichermaßen schikaniert wurde.
Gedenktafeln an den Außenmauern erinnern an die Gefangenen und Hingerichteten des stalinistischen Terrors, darunter an ehemalige Angehörige der Landesarmee, aufgestellt von der polnischen Exilregierung in London. Auch an Mitglieder der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność, die nach Einführung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 hier interniert wurden, wird gedacht. Frische Blumen mit rot-weißen Bändern zeugen vom gerade feierlich begangenen Jahrestag. Im nur eingeschränkt zugänglichen Innenhof des Gefängnisses werden die neuen Helden der Polnischen Republik geehrt - die sogenannten »Verstoßenen Soldaten«, Kämpfer des antikommunistischen Untergrunds. Doch eine Gedenktafel für die Sozialistin und Internationalistin Rosa Luxemburg sucht man vergeblich. In einem Leserbrief der liberalen Zeitung »Gazeta Wyborcza« wurde unlängst gefordert, das zu ändern. Eine Gedenktafel zu Ehren Rosa Luxemburgs wäre nicht nur eine schöne Geste, sondern gleichzeitig ein Protest gegen die nationalistische Rechte Polens.
Daniela Fuchs ist Mitglied des Sprecherrates der Historischen Kommis-sion der LINKEN.
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