Labour laviert ...

... sich durchs Brexit-Dilemma. Der linke Parteiflügel ist zunehmend uneins

  • Johanna Bussemer
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Abstimmung über Theresa Mays Brexit-Deal wird nicht nur für die Tories zur vielleicht größten Zerreißprobe im Brexit-Drama. Auch für die Labour-Partei und ihren Vorsitzenden Jeremy Corbyn ist der Umgang mit dem Brexit zu einem Problem geworden, das nicht nur schwer zu lösen ist, sondern auch die Kräfteverhältnisse in der Partei und damit den Machtanspruch Corbyns in Frage stellen könnte. Denn die Unterstützung für einen anderen, linken, Brexit schrumpft und ein neuer sogenannter progressiver Flügel bildet sich im linken Lager von Labour heraus.

Corbyns Brexit-Vorschlag

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»Love Corbyn - hate Brexit« hieß die Kampagne, die rund um den Labour-Parteitag in Liverpool im vergangenen September weithin am sichtbarsten war. Dieser Slogan, der einerseits dem Partei- und Oppositionsführer das Vertrauen aussprach und ihn gleichzeitig zur Kursänderung und zum Verbleib in der Europäischen Union aufforderte, ließ bereits vor vier Monaten ahnen: Der Kurs der Parteiführung, die Regierung zu kippen und den Brexit trotzdem, wenn auch anders, durchführen zu wollen, könnte in einer Sackgasse enden.

Der von May vorgelegte Brexit-Plan ließe Großbritannien als »gedemütigte, halbfertige Baustelle« zurück, so Corbyn in einem Meinungsbeitrag im »Guardian« vom Dezember. Diesem Plan müsse eine klare Absage erteilt und durch Neuwahlen müssten Türen für neue Verhandlungen mit der EU geöffnet werden. So solle auch ein ungeregelter Brexit verhindert werden. Ein dann von links umgesetzter Brexit solle, so Corbyn, andere Prioritäten setzen: vor allem eine Zollunion als Basis für die nötige Selbstbestimmung zur wirtschaftlichen Entwicklung rückständiger Regionen, eine geregelte Migration und die Beibehaltung der EU-Arbeitsrechtsrichtlinien.

Warum aber wehrt sich die Labourführung so zäh gegen ein zweites, von der Mehrheit der Partei gewolltes Referendum, wenn die genannten Ziele auch innerhalb der EU zu erreichen wären? Die Labour-Partei verfügt über ein beherztes linkes Programm. Käme zu diesem eine gut aufgestellte Regierung hinzu, sollte das Erreichen dieser und weiterer Ziele, wie die Re-Kommunalisierung von Infrastrukturbereichen, möglich sein. Labour könnte sich sogar noch in Brüssel für eine Reform der EU einsetzen und ein Bündnis links-progressiver Kräfte in Europa anführen. 72 Prozent der Labour-Mitglieder sind einer Umfrage der Queen-Mary-Universität London zufolge für ein zweites Referendum, nur 18 Prozent dagegen. 88 Prozent der Befragten würden dann für »Remain« (einen Verbleib) stimmen.

Einen Brexit wollen Corbyn und Co. vor allem aus zwei Gründen dennoch: Zum einen bangen sie um die Vorherrschaft in vielen Pro-Brexit-Wahlkreisen in Mittel- und Nordengland. So haben rund um die Stadt Hemsworth, einem ehemaligen Kohle-Gebiet, Wahlkreis von Jon Trickett aus dem Führungszirkel der Labour-Partei und seit 1918 fest in deren Hand, über 60 Prozent für den Brexit gestimmt. Zum anderen sind große Teile des linken Labourflügels traditionell EU-kritisch. Wichtiger Bezugspunkt ist hier ein tradiertes linkes Außenpolitikverständnis, das von klaren Positionierungen in Konflikten wie dem Nahostkonflikt oder jenem zwischen Russland und den USA geprägt ist. Der jungen linken Bewegung in Großbritannien, die Corbyn durch massenhafte Eintritte in die Labourpartei zum Vorsitz verholfen hat, ist dieses Denken qua Generation allerdings genauso fern wie den vielen anderen jungen, sich eher kosmopolitisch bewegenden linken Bewegungen in Europa, die sich vor allem gegen soziale Ungleichheit wehren.

Mögliche neue Konstellationen in der Labour-Partei

Dieser kulturelle Bruch zeigt sich besonders auch in der Diskussion um das Vorgehen rund um den Brexit. Während die Mitglieder des engsten Labourführungskreises - neben Corbyn sind das Jon Trickett, John McDonnell und Diane Abbott - alle der gleichen Generation angehören, fordern andere Abgeordnete einen neuen Führungsstil und eine andere strategische Herangehensweise. So spekuliert dieser klar linke, sich selbst als progressiv bezeichnende Flügel zum Beispiel auf die Zusammenarbeit mit den britischen Grünen, die in vielen Regionalparlamenten erfolgreich sind. Er will ein zweites Referendum und bringt als Möglichkeit für einen Kompromiss zwischen Brexit-Befürwortern und Gegnern das sogenannte Norwegische Modell ein: keine EU-Mitgliedschaft bei gleichzeitigem Verbleib im Binnenmarkt. Hinter diesen Vorschlag stellen sich auch die der Labour-Partei nahestehende, aber unabhängig agierende Organisation Momentum und ihre Leiterin Laura Parker. Von Corbyns etwa 50 treuen Gefolgsleuten in der Labourfraktion teilen circa die Hälfte diese Position.

John McDonnell, gerne auch als heimlicher Anführer von Labour bezeichnet, versucht wieder einmal, zwischen beiden Flügeln zu verhandeln. Unterstützt wird er dabei von Labours Brexit-Beauftragtem Keir Starmer, der May durch kluge juristische Einwände zu einem »weichen« Brexit drängte. Ein zweites Referendum könnte auch die vielen noch in der Labour-Partei verbliebenen »Blairisten« für kurze Zeit hinter die Linie der Partei bringen. Allerdings bleibt zu erwarten, dass ein Verhandlungsfrieden mit diesem Flügel nur von kurzer Dauer ist, da deren eher neoliberal geprägte Ausrichtung langfristig nicht mit der Labour-Führung vereinbar ist. In der Partei gibt es neben diesen zahlreichen Befürwortern eines zweiten Referendums auch eine kleine Gruppe von Labour-Abgeordneten rund um die Zeitung »Morning Star«, die womöglich für Mays Plan stimmen werden, um die EU möglichst schnell - jedoch nicht ungeregelt - zu verlassen.

Es bleibt zu hoffen, dass John McDonnells Vermittlungen Erfolg haben. Die Tories werden so oder so geschwächt aus der Abstimmung am Dienstag hervorgehen. Selbst wenn sie es schaffen, Neuwahlen noch einmal zu verhindern, werden diese früher oder später kommen.

Die Autorin ist Leiterin des Europa-Referats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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