»Zwingende Vorschriften« zum Kehlschnitt

Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob Muslime in Deutschland Tiere ohne Betäubung schlachten dürfen

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit Spannung hat Rüstem Altinküpe (33) aus dem hessischen Aßlar diesen 15. Januar erwartet. Denn der heutige Spruch des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe entscheidet wesentlich darüber, ob die Zukunft seines Geschäfts eine blühende sein wird. Der Muslim Altinküpe gehört einer streng ausgerichteten sunnitischen Glaubensrichtung an und isst deshalb nur Fleisch, dass von geschächteten Tieren stammt. Als Inhaber einer Metzgerei will er solches natürlich auch den Glaubensgenossen unter seinen Kunden anbieten. Doch machte ihm 1995 das Bundesverwaltungsgericht einen Strich durch die Rechnung, als es in einem Grundsatzurteil feststellte, dass Muslimen das Ritual des Schächtens nicht unbedingt vorgeschrieben sei. Altinküpe verlor daraufhin die behördliche Ausnahmegenehmigung. Eine solche ist nämlich nötig, um in Deutschland das nach dem Tierschutzgesetz verbotene Schächten praktizieren zu dürfen - und zwar dann, wenn »zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben«. Das in jüdischer und islamischer Religion übliche Schächten (hebräisch: Schahat = Schlachten) soll sicherstellen, dass das zum Verzehr kommende Fleisch rituell rein ist, koscher, wie die Juden sagen. In einem Schnitt werden den Schafen oder Rindern Halsschlagader, Luft- und Speiseröhre bis zur Wirbelsäule durchtrennt. Dann blutet das Tier aus. Damit wird dem in Talmud und Koran festgeschriebenen Verbot des Verzehrs von Blut genüge getan. Dieses rituelle Schlachten erfolgt ohne vorherige Betäubung der Tiere. Elektroschocks, so wird argumentiert, verhinderten eine vollständige Blutentleerung, da sie das Herz betäubten und es dann nicht mehr voll weiter schlage. Damit verstößt das Schächten gegen die entsprechende deutsche Gesetzgebung. Die Entscheidung der Karlsruher Richter ist allerdings neben der tierschutzrechtlichen von erheblicher politischer Brisanz. Denn der muslimische Metzger beklagte nicht nur einen Eingriff in die Religionsfreiheit, sondern auch Ungleichbehandlung. Schließlich haben jüdische Gemeinden in München, Berlin und Frankfurt (Main) Genehmigungen zum Schächten bekommen, wodurch sie einen Großteil des in der Bundesrepublik konsumierten koscheren Fleisches produzieren können. Dem liegt die von deutschen Gerichten vertretene Auffassung zu Grunde, dass hier die Freiheit der Religionsausübung höher zu bewerten sei als der Tierschutz. Vergessen werden darf dabei wohl nicht, dass das 1933 nach Machtantritt der Nazis verfügte Verbot des rituellen Schächtens eindeutig antisemitischen Charakter trug. Nach 1945 hob eine Verordnung der Alliierten das Schächtverbot wieder auf. Als in der Bundesrepublik der 70er Jahre die Kritik von Tierschützern an dieser Praxis zunahm, wurde das Tierschutzgesetz verschärft, und die »zwingenden Vorschriften« der Religion sind seither Voraussetzung für eine Ausnahmegenehmigung. »Auch aufgrund geschichtlicher Verpflichtungen« hatte das Bundesverwaltungsgericht 1995 die Schächterlaubnis für die jüdischen Gemeinden bestätigt. Doch während die Richter davon ausgingen, dass diesen die Betäubung der Tiere vor dem Töten ausdrücklich verboten sei, bestritten sie das im Falle der Anhänger des Islam. Es gebe im Koran keine Anhaltspunkte dafür, dass nur ohne Betäubung geschächtet werden darf, verkündeten sie und konnten sich dabei immerhin auf ein Schreiben von Wissenschaftlern der Al-Azhar-Universität Kairo berufen, in dem attestiert wird, dass das betäubungslose Schächten »für die Tiere nur unnötiges, erhebliches Leid, Angst und Schmerzen bedeutet«. So sehen das auch die Tierschützer. Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, verwies darauf, dass das Tier nicht allein »schon beim Kehlschnitt erhebliche Schmerzen« erleidet, sondern zudem anschließend noch bis zu zwei Minuten bei Bewusstsein ist und zusätzlich qualvoll am eigenen Blut erstickt. Gerade das wird allerdings von muslimischen Verfechtern der Schächtpraxis vehement bestritten. Diese sei sogar »humaner, als Tiere per Bolzenschuss verenden zu lassen«, befand beispielsweise der Sprecher des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Eiman Mazyek. Auch - so ein weiteres Argument - würde bei der Durchtrennung der Halsschlagader fast augenblicklich jede Aktivität des Gehirns erlöschen. Jedoch ist in der Medizin kaum etwas schwieriger, als die Schmerzempfindlichkeit zu bestimmen. Und auf die Frage, ob der heute übliche industrielle Massenschlachthof ethisch höher zu bewerten ist als der religiöse Schlachtungsakt, werden sich die Karlsruher Richter wohlweislich ohnehin nicht einlassen.

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