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Wunschzettel und Bedenken
Der DGB hält die Empfehlung für die Große Koalition weiter für richtig und kritisiert die Geschlechterungleichheit
»Das Jahr wird wohl nicht so heiter wie das Winterwetter heute morgen«, leitete DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann die Jahresauftakt-Pressekonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) am Freitag in Berlin ein. Diffuse Ahnungen angesichts des Aufschwungs der Rechtspopulisten, des Brexits und der irgendwie schwer einzuordnenden französischen Gelbwesten bildeten das Hintergrundrauschen zur Vorstellung der politischen Agenda des DGB für das laufende Jahr.
Zunächst klopfte sich die Gewerkschaft auf die eigene Schulter: Dass sich der DGB nach der letzten Bundestagswahl für eine Große Koalition ausgesprochen habe, sei »nach wie vor richtig«, so Hoffmann. Viele Entscheidungen hätten dies bewiesen. So sei es gelungen, das Rentenniveau »immerhin bei 48 Prozent« zu stabilisieren, »wenn auch nur bis 2025«. Auch die Einführung eines Rückkehrrechts aus Teilzeit in Vollzeit und die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung bei der Krankenversicherung sprächen für die Empfehlung von 2017. Was der DGB 2019 von der Großen Koalition erwartet, klingt dann schon eher nach altem Wunschzettel: erheblich mehr Investitionen in öffentliche Infrastruktur, eine »Trockenlegung des immer noch zu großen Niedriglohnsektors«, mehr Mitbestimmung und Stärkung der Tarifbindung. »Leider kneift die Politik, wenn es drauf ankommt«, so Hoffmann, »und macht einen Kniefall vor den Arbeitgebern.«
Schwerpunktthema des Gewerkschaftsbundes für den diesjährigen 1. Mai soll jedenfalls die Europawahl sein, denn: »Europa steht vor einer Schicksalswahl.« Unklar blieb, was die Gewerkschaften tun wollen, um der deutschen und europäischen Politik einen Dreh in Richtung Arbeitnehmerinteressen zu verpassen.
Kritische Töne zur frauenpolitischen Bilanz der Regierung kamen von der DGB-Vizevorsitzenden Elke Hannack. Hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts hätten heute so wenig Frauen Mandate im Bundestag »wie zuletzt vor 20 Jahren«. Und das als wichtiger Schritt zur Überwindung des Gender Pay Gap gefeierte Entgelttransparenzgesetz greife für zwei Drittel aller arbeitenden Frauen überhaupt nicht - weil sie in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten arbeiten, für die das Gesetz nicht gilt. Grundsätzlich fordere der DGB von der Regierung, künftige Gesetzesvorhaben systematisch auf ihre Gleichstellungswirkung hin zu untersuchen, unterstrich Hannack, die auch Vorstandsmitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft ist. Über Strukturwandel, Steuerreform und Mindestlohn sprach Hannacks Kollege Stefan Körzell, ebenfalls Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands. Der Ausstieg aus der Braunkohle dürfe nicht auf Kosten der Beschäftigten gehen. Strukturbrüche »wie nach der Wende in der Lausitz« müssten vermieden werden. Mehr Investitionen in erneuerbare Energien, Zukunftstechnologien und den Netzausbau seien nötig: »Wir wollen nicht, dass am Ende nur die Straßen breiter werden, damit die jungen Leute schneller in die Metropolen pendeln können.« Zur Finanzierung verwies Körzell auf das von DGB und Sozialverbänden erarbeitete Steuerreformkonzept, das kleine und mittlere Einkommen ent-, die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung dagegen stärker belasten würde.
Von der Diskussion über eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro zeigte sich Körzell, der Mitglied der Mindestlohnkommission ist, nicht besonders angetan. »Wir wissen, dass der Mindestlohn nicht existenzsichernd ist«, sagte der Gewerkschafter mit Blick auf die seit Jahresbeginn geltende Untergrenze von 9,19 Euro. Auch die beschlossene Anhebung auf 9,35 Euro ab 2020 werde daran nichts ändern. Doch sei »mit dem Instrumentarium, das uns der Gesetzgeber zur Verfügung gestellt hat«, eine Anhebung auf zwölf Euro illusorisch. Müsste man also die Regeln ändern? Körzell verwies auf die für 2020 geplante Evaluierung. Danach werde man weiter sehen.
»Eine glaubwürdige Erneuerung des sozialen Sicherungsversprechens«, mahnte Annelie Buntenbach an - die erste Grüne im Bundesvorstand des DGB. Die Angst, nach einem Jahr Erwerbslosigkeit in »Hartz IV« abzurutschen, reiche »bis weit in die Mitte der Gesellschaft«. Dagegen fordere der DGB ein »Anschlussarbeitslosengeld«, eine Reform des Kinderzuschlags und des Wohngelds. Finanzielle Sanktionen dürften das Existenzminimum nicht unterschreiten oder Menschen in minderwertige Arbeit abdrängen. Bei der Rentenpolitik sei ein Kurswechsel nötig: »Wir brauchen eine dauerhafte Stabilisierung und langfristige Anhebung« so Buntenbach: »Es ist unmöglich, privat den Lücken hinterherzusparen, die in den letzten Jahrzehnten gerissen worden sind.« Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters werde es mit dem DGB nicht geben.
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