Ein visueller Schock

Harald Metzkes wird heute 90: Seine Retrospektive im Kunstforum der Berliner Volksbank

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Wiedereröffnung des Kunstforums der Berliner Volksbank in den neuen Räumen am Kaiserdamm erfolgt mit einer beeindruckenden Harald-Metzkes-Schau zu seinem 90. Geburtstag. In der Ausstellung werden 70 prägende, zum Teil großformatige Bilder aus verschiedenen Schaffensperioden des in Wegendorf (Brandenburg) lebenden Künstlers gezeigt. Metzkes hatte einst »Natur und Auge«, die Symbiose des Beglückenden und Bedrängenden, als sein Programm formuliert. Auf den ausgestellten Bildern tobt sich die Narrheit des Menschengeschlechts aus. Das Prosaische dieser Gestalten mit ihren Mützen, Masken und geschminkten Gesichtern, in ihren bunten Kostümen, ihren erstarrten Gesten wie ekstatischen Haltungen - all das verleiht der Szene trotz ihres transparenten Lichtes ein Gefühl der Fremdheit, des Bedrohlichen, eine surreale Atmosphäre. Was ist hier noch Realität, was ist Kulisse, wie lassen sich Schauspieler und real handelnde Personen unterscheiden, wo hört das heitere Verwirrspiel auf und schlägt es um in grimmigen Spaß und bitterbösen Ernst? Die Bilder von Harald Metzkes konfrontieren uns mit den in rasender Geschwindigkeit verändernden Zeitverhältnissen.

Ein frühes Werk ist »Mann mit Geigerzähler« (1957): Hilflos agiert da einer - es ist die Zeit des Kalten Krieges, der atomaren Bedrohung - in einer toten Umwelt. Von der Pittura metafisica (metaphysischen Malerei) beeinflusst sind architektonische Versatzstücke in der kahlen imaginären Landschaft mit hochgezogenem Horizont angeordnet, mit Anspielungen auf aktuelle Zeitgeschichte. Um die Doppelgesichtigkeit, die Zwiespältigkeit geht es in »Januskopf« (1977): Anstelle des zweiten Gesichts trägt Janus - hier ein Zeitgenosse von uns - die Maske. Aber Janus symbolisiert eben auch die Dualität von Leben und Tod, Licht und Dunkelheit oder Anfang und Ende. Das Allegorische bleibt verständlich, die Realität wird ihres Scheins entkleidet. Malkunst als Kunst der Metamorphose, aber Schauspiel auch als Kunst der Täuschung (»Publikum stürmt die Bühne I«, 1987; »Fideli«, 1992). Das Bild wird zur Bühne, die Bühne zum Bild - Theaterbilder und Bildertheater, Maskenspiele. So »Schwarzgesicht und Weißgesicht« (1988), das das Harlekinsthema inmitten einer Genreszene auf rätselhafte Weise variiert. Vertrautheit und Fremdwerden, Nähe und zunehmende Entfernung werden im Werk Metzkes ebenso ersichtlich wie die Inszenierung der Illusion. Im »Musischen Kabinett« (1989) wird musiziert, gespielt und getanzt - und doch ist jeder nur mit sich selbst beschäftigt. Werden sie je zusammen kommen oder beharrt jeder auf seiner Solo-Rolle? »Blinde Kuh« (1991): Eine junge Frau mit verbundenen Augen tastet sich auf den Betrachter zu, während die anderen Figuren sich beiseite beugen, so dass der Eindruck von Leere trotz des dicht gedrängten Interieurs entsteht. Orientierungsverlust und vergebliche Erneuerungshoffnung kommen auch im »Januskonzert« (1990) zusammen. Es ähnelt einem Wimmelbild mit versteckten Figuren, Handlungsweisen, Situationen, Begebenheiten, die kombiniert werden müssen.

Jeden Augenblick kann bei Metzkes die Situation umkippen, droht das »labile Gerüst vor Publikum«, so auch der Titel eines Bildes aus dem Jahr 1992, zusammenzustürzen. Die komplexe Überlagerung von Themen, die psychologisch und symbolisch vielfältigen Deutungen offen stehen, taucht die Szene ins Geheimnisvolle und verleiht ihr ihre poetische Dimension. Der Künstler lädt seine Motive mit Assoziationen und Anklängen auf, benutzt manche als feststehende Hieroglyphen, andere sind vollgültige Personen in seinem privaten Welttheater. Auf unsicheren Leitern klettern die Figuren nach oben, die schleifenförmige Bahn lässt sie in die Tiefe stürzen. Perspektivische Verkehrung und Verkürzung, die Proportionsverzerrung, die Lokalisierung von Figuren und Gegenständen, alles bricht hier mit dem Kanon der traditionellen Darstellungsweise und rechtfertigt vielleicht den Ausdruck eines »fallenstellenden« Realismus. Die Mütze und Maske sind des Malers Schutzmarke geworden, unter der er das Karnevaltreiben beobachtet, das mehr einer Aschermittwochstimmung gleicht. Die Lust am schönen Schein, die »joie de vivre« erweist sich als Lug und Trug, artistisches Spiel schlägt in Gewalt und Brutalität um oder führt zur Katastrophe. Haben die Figuren, diese Maskenmenschen, die mit ihren hohlen, schattenhaften Illusionen leben, bereits verspielt oder gibt es noch eine Chance? Mitunter scheinen sie aus dem Bild heraus zu fliehen, dem Betrachter in die Arme zu stürzen wollen.

Ist Metzkes ein Sittenschilderer, der der Mitwelt einen ironisierenden Zerrspiegel vorhält? Will er uns mit seinen Bildern einen visuellen Schock versetzen? Aber seine philosophische Einstellung erlaubt ihm einen erweiterten Blickwinkel. Nähe und Ferne, Qual und Ironie, Capriccio und geistige Souveränität halten sich die Waage. Er durchmisst die ganze weite Strecke von der Komödie bis hin zum absurden Theater, es ist eine Reise in die Illusionslosigkeit, und es gelingt ihm, das Erschreckende so fassbar zu machen wie kaum einer.

Harald Metzkes - Ein musisches Kabinett zum 90. Bilder aus der Kunstsammlung der Berliner Volksbank. Bis 10.02., Stiftung Kunstforum der Berliner Volksbank gGmbH, Kaiserdamm 13, Berlin

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