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Europa unter Druck von rechts
Die Initiativen gegen populistische Tendenzen in EU-Parlament und Rat wachsen - sind aber zersplittert
In einigen EU-Mitgliedsstaaten sind Demokratie, Rechtsstaat und Zivilgesellschaft akut unter Druck. Auf europäischer Ebene geht es um den Bestand der EU. Denn der politische Rechtsruck richtet sich auch gegen die Europäische Union und zielt auf eine Renationalisierung der Politik. Letzteres dürfte zwar aus unterschiedlichen Gründen aussichtslos sein, denn Klimawandel, Digitalisierung und Migration sind zentrale politische Herausforderungen, die sich nicht auf nationaler Ebene beantworten lassen. Allerdings könnten Populisten und Nationalisten Europa erneut in ein politisches Chaos stürzen.
Am offensichtlichsten ist der politische Rechtsruck im Europäischen Parlament (EP) wahrzunehmen. In den Wahlperioden von 1994 bis 2009 ging der Stimmenanteil der als rechtskonservativ bis rechtsextrem einzustufenden Politischen Gruppen im EP zunächst zurück (1994/1999: 12,8 Prozent/7,8 Prozent; 1999/2004: 10,3 Prozent/6,1 Prozent; 2004/2009: 8,8 Prozent/7,4 Prozent; die doppelte Prozentangabe bezieht sich jeweils auf Anfang und Ende der Legislaturperiode, da Fraktionswechsel im EP weniger ungewöhnlich sind als im deutschen Bundestag). Bis 1999 stellten die linken Parteien sogar die Mehrheit im EP. Ab 2009 stieg der Anteil rechter Parteien im EP zunächst auf einen Anteil von 11,9 Prozent/11,4 Prozent der Sitze. In der laufenden Legislaturperiode hat sich dieser Sitzanteil noch einmal deutlich erhöht auf 19, 9 Prozent.
Jürgen Klute ist Theologe und Europapolitiker. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied des EU-Parlaments (Delegation DIE LINKE). Jürgen Klute betreibt die Internetseite europa.blog. Er publiziert insbesondere zu Themen wie linke Kräfte in Europa und zur Rechtsentwicklung in der EU.
Der dokumentierte Text ist zuerst auf der Plattform die-zukunft.eu erschienen.
Nach der nächsten Europawahl im Mai 2019 könnte sich diese Zahl allerdings wieder etwas verringern auf 17 Prozent der Sitze, so eine Schätzung des Jacques Delors Instituts Berlin. Das ist eine Folge des Brexits, denn von den derzeit 73 britischen Abgeordneten (MdEP) gehören 43 rechtskonservativen bis rechtsextremen Parteien an, die derzeit den entsprechenden EP-Fraktionen angehören. Allerdings dürften noch einige der vom Delors Institut zukünftig auf 12 Prozent (aktuell: 3,1 Prozent) geschätzten Fraktionslosen der politischen Rechten zuzurechnen sein.
Diese Zahlen geben aber noch kein vollständiges Bild des Rechtsrucks im EP. Denn auch die EVP (Christdemokraten) haben in ihren Reihen rechte Politiker, nämlich die 11 MdEP der ungarischen Fidesz-Partei, der auch der ungarische Regierungschef Orbán angehört, sowie die 11 MdEP der rechten Forza Italia. Aus machtpolitischen Gründen will sich die EVP aber nicht von diesen Mitgliedern trennen.
Schaut man nicht nur auf die formale Parteizugehörigkeit, sondern gezielt auf die Haltung von Parteien zur EU als solcher - also wird die EU als erhaltenswert oder eher als nicht erhaltenswert eingeschätzt; diese Frage ist für eine Weiterentwicklung der EU und speziell für die Frage eines im Blick auf den Euro nötige sozial- und fiskalpolitische Integration der EU von zentraler Bedeutung -, dann vergrößert sich der Kreis der Skeptiker noch einmal um einen Teil der Mitglieder der GUE/NGL, der linken Fraktion im EP. Sie teilen keineswegs rechte Positionen, aber in diesem einen Punkt, der gerade auf rechter Seite eine erhebliche Rolle spielt, gibt es eine Schnittmenge mit Teilen der Linken. Man muss diese bei den entsprechenden politischen Themen im Blick haben, da diese Positionierung von Teilen der Linken punktuell den Rechtsruck im EP verstärkt und damit zur Destabilisierung der EU beiträgt.
Der politische Rechtsruck macht sich aber nicht nur bei Verhandlungen und Abstimmungen im EP bemerkbar, sondern eben so sehr im Europäischen Rat, in dem die Regierungen der EU-Mitgliedsländer vertreten sind. Rat und EP sind - bis auf wenige Politikbereiche - gleichberechtigte Entscheidungsträger im EU-Gesetzgebungsverfahren. Die EU kommt also von beiden Institutionen unter Druck. Lediglich die EU-Kommission ist bisher weitgehend von dem Rechtsruck verschont geblieben.
Die rechten Regierungen aus Ungarn, Polen, Österreich und Italien nehmen über den EU-Rat jeweils Einfluss auf die EU-Gesetzgebung sowie auf die Entwicklung der EU insgesamt. Am deutlichsten zeigt sich das in der Frage einer schlüssigen EU-weiten Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik, die nicht vor allem von diesen Regierungen blockiert wird. Selbst Regierungen, die nicht als rechts einzustufen sind, stehen in ihren Ländern teils unter dem politischen Druck von Populisten und rechten Parteien und müssen das bei ihren Entscheidungen im EU-Rat berücksichtigen.
Eine besonders schwierige Rolle spielt die deutsche Bundesregierung auf EU-Ebene. Offiziell gilt die Bundesrepublik als proeuropäisch und der EU positiv gegenüber stehend. Tatsächlich hat aber keine andere Regierung seit Beginn der EU-Krise so desintegrierend für die EU gewirkt wie die der Bundesrepublik (seit 2013 in Kooperation mit der SPD). Einerseits hat sie die desaströse deutsche Austeritätspolitik auf die EU-Ebene getragen. Andererseits nutz die Bundesregierung ihre Stärke, um jeden Versuch einer nötigen Reform im Bereich der EU-Sozial- und Fiskalpolitik im Keim zu ersticken. Diese Politik folgt vor allem nationalen Interessen, ist also eine Politik, die dem rechten Lager zuzuordnen ist und die begann, noch bevor Pegida und AfD auf der politischen Bühne auftauchten. Sie ist also nicht von Pegida und AfD veranlasst worden, sondern hat eher diese Entwicklungen provoziert und salonfähig gemacht.
Diese im Erscheinungsbild zunächst weniger radikalen rechten Entwicklungen scheinen mir im Blick auf die weitere Entwicklung der EU das größere Problem zu sein. Verschärft wird der politische Rechtsruck in Europa seit einigen Monaten dadurch, dass der ehemalige Trump-Vertraute Stephen Bannon die europäische Rechte - die trotz ihrer nationalistischen Ausrichtung längst auf europäischer Ebene kooperiert - mit einem Büro in Brüssel unterstützt. Auf europäischer Ebene haben rechte Parteien außerdem seit geraumer Zeit begonnen, ein systematisches Desinformationssystem mit eigenen Medien und über soziale Medien aufzubauen. Das »Europe Far Right Research Network« , das von einem Netz europäischer Zeitungen organisiert wird, gibt einen guten Einblick in diese demokratiefeindliche und die EU destabilisierende Entwicklung.
Nun gibt es mittlerweile aber auch Gegenbewegungen zu diesem Rechtsruck. Insbesondere die von vielen nicht erwartete Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und der ebenso überraschende Brexit haben Initiativen wie »Pulse of Europe« und »Laute Europäer« angestoßen. Positiv an diesen beiden Bewegungen ist, dass Bürger*innen angefangen haben, sich intensiv mit der EU auseinanderzusetzen und sich nicht nur für den Erhalt, sondern auch für die Reformierung der EU zu engagieren. In 2017 hat »Pulse of Europe« über Monate jeden Sonntag an vielen öffentlichen Orten Veranstaltungen durchgeführt, in der für die EU argumentiert wurde. Allerdings hat die Lautstärke dieser Initiativen mittlerweile wieder deutlich abgenommen. Die Ressourcen dieser Initiativen reichen derzeit offensichtlich nicht aus, um den gut organisierten und offenbar auch von finanzkräftigen Sponsoren, wie z.B. dem Milliardär August von Finck, unterstützten rechten Netzwerken wirksam entgegentreten zu können (A. von Finck steht jedenfalls im Verdacht, ein AfD-Großspender zu sein).
Einen anderen Weg haben die Wissenschaftlerin Ulrike Guérot, der Schriftsteller Robert Menasse und der Regisseur Milo Rau eingeschlagen. Anfang 2018 starteten die drei das Projekt »European Balcony Project«, das am 10. November - also 100 Jahre nach dem offiziellen Ende des Ersten Weltkrieges - in 120 Orten Europas durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt stand die symbolische Ausrufung einer Europäischen Republik . In dem Manifest sind Eckpunkte einer sozialen, bürgernahen und demokratisierten und zu einer Republik weiterentwickelten EU benannt.
Am Wirkungsort von Milo Rau, dem NTGent in der belgischen Stadt Gent, war das »Balcony Project« verknüpft mit einem alternativen europäischen Gipfel im Rahmen des Projektes »The Art of Organizing Hope« . Ziel dieses mehrjährigen Projektes ist die Ausarbeitung eines alternativen EU-Vertrags mit Aktivisten, NGOs und Intellektuellen, das dann Vertreter*innen des Europäischen Parlaments überreicht werden soll.
Das »European Balcony Project« war bewusst als künstlerische Intervention angelegt, um auf anderen Wegen mehr Bürger*innen für eine Beteiligung an der Weiterentwicklung der EU zu gewinnen. Und das Projekt wird auch weiterhin bearbeitet in Form der Erstellung einer Dokumentation über die Aktivitäten vom 10. November. Menasse - Autor des europäischen Romans »Die Hauptstadt« - und Guérot sind zudem medial sehr aktiv und darüber hinaus im Austausch mit Vertreter*innen der EU-Institutionen, um auf diesem Wege den Druck für nötige und überfällig EU-Reformen zu unterstützen. All diese Aktivitäten sind eben auch als Beiträge zur Zurückweisung von Populisten und rechten Parteien zu verstehen.
Die aktuellste Gegenbewegung ist derzeit noch schillernd: Die »Gelbwesten« in Frankreich und in Belgien (dort vor allem im wallonischen Landesteil und in Brüssel aktiv). Diese Bewegung ist zwar noch immer nicht ganz eindeutig politisch einzuordnen. Der französische Rassemblement National (vormals Front National) hat sich sehr bemüht, die »Gelbwesten« zu vereinnahmen. Aber es gibt mittlerweile deutliche Anzeichen, dass das nicht gelingt. So berichtet das Ficko-Magazin am 20.12.2018, dass sich französische Linke seit längerem dafür einsetzen, eine rechte Infiltration der »Gelbwesten« aktiv zu verhindern.
Auch in Brüssel haben sich »Gelbwesten« am 16.12.2018 einer linken Gegendemo gegen den von rechtsextremen Gruppen organisierten »Marsch gegen Marrakesch« angeschlossen. Das deutet darauf hin, dass die »Gelbwesten« sich nicht dem europäischen Rechtsruck anzuschließen scheinen. Mit ihren im wesentlichen berechtigten Forderungen könnten sich die Gelbwesten somit zu einer eindeutig progressiven politischen Bewegung entwickeln, die sich dann ebenfalls dem Rechtsruck entgegenstellt.
Keine der zuvor skizzierten Gegenbewegungen gegen die europäische Rechte ist derzeit jedoch für sich stark genug, um alleine den Rechtsruck stoppen zu können. Im Zusammenspiel haben sie jedoch gute Chancen erfolgreich zu sein.
Da die EU kein zentralistisches Machtkonstrukt ist - wie ihre Gegner gerne, aber faktenwidrig, behaupten - und auch über keine Instrumente eines staatlichen Machtmonopols verfügt, spiegelt die EU mit einer gewissen Zeitverzögerung vor allem die politischen Entwicklungen in ihren Mitgliedsstaaten wider. Das gilt auch für den auf EU-Ebene zu verzeichnenden Rechtsruck. Diesen Rechtsruck zu bekämpfen und zu stoppen ist daher nicht zuletzt eine Aufgabe von Demokrat*innen und Antifaschist*innen in den Mitgliedsländern. Deshalb ist es wichtig, sich vor Ort in Initiativen wie den oben geschilderten zu engagieren und sie zu unterstützen und auszubauen. Denn abgesehen von einer Destabilisierung der EU bieten Populisten und rechte Parteien keine Alternativen an, die zu einer friedlicheren, nachhaltigeren, sozialeren und demokratischeren EU führen.
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