»Mutiger Klimaschutz sieht anders aus«

Kommission einigt sich Eckpunkte für einen Kohleausstieg / Kritik von LINKEN, Grünen und Klimaaktivisten am erzielten Ergebnis

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Berlin. Das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland soll spätestens 2038 vom Netz gehen - die betroffenen Regionen und Bürger bekommen zum Ausgleich Milliardenhilfen. Nach monatelangen Beratungen hat sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission auf einen Ausstiegsplan geeinigt, der nun in Gesetzesform gegossen werden soll. »Das ist ein historischer Kraftakt gewesen«, sagte Ronald Pofalla (CDU), einer der vier Vorsitzenden der Kommission.

Er hoffe, dass der Kompromiss zur Befriedung des gesellschaftlichen Konflikts um die Kohleverstromung beitrage. Umweltschützer monierten das späte Enddatum, lobten aber den Einstieg in den Ausstieg. 2032 soll überprüft werden, ob das Ausstiegsdatum angesichts der Lage und im Einvernehmen mit den Betreibern auf 2035 vorgezogen werden kann.

Braunkohle gilt als klimaschädlichster Energieträger, aber Zehntausende Arbeitsplätze hängen daran im Rheinland und in Ostdeutschland. Nach dem für Ende 2022 geplanten Atomausstieg wird Deutschland dann ab spätestens 2038 als eines der ersten Industrieländer der Welt neben Erdgas fast komplett auf erneuerbare Energien setzen. In der Kommission rangen Klimaschützer, Gewerkschafter, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler um Lösungen - am Ende stimmten 27 der 28 Mitglieder dafür. Nach dpa-Informationen stimmte nur die CDU-Politikerin Hannelore Wodtke mit Nein, die sich für den Erhalt der Dörfer am Rand der Tagebaue eingesetzt hatte.

»Der heute ausgehandelte Kohlekonsens zeigt eindrucksvoll, dass sich gesellschaftliche Großkonflikte in Deutschland immer noch gemeinschaftlich lösen lassen. Er ist damit eine Sternstunde für unser politisches System«, meinte der Direktor des auf Energiefachfragen spezialisierten Instituts Agora Energiewende, Patrick Graichen. SPD-Chefin Andrea Nahles, die vor einer »Blutgrätsche gegen die Braunkohle« gewarnt hatte, meinte: »Das ist das Fundament für einen erfolgreichen Weg zum Kohleausstieg.«

Baerbock: Ein erster Schritt gelungen

Grünen-Chefin Annalena Baerbock lobte, dass zumindest ein erster Schritt gelungen sei. »Gerade der Einstieg in den Ausstieg und der Erhalt des Hambacher Waldes sind Verhandlungserfolge der Umweltvertreter in der Kommission«, sagte sie mit Blick auf das von Umweltschützern vehement gegen eine Rodung verteidigte Waldgebiet im rheinischen RWE-Braunkohlerevier. Im Abschlussbericht steht, die Kommission halte das für »wünschenswert«.

Auch der energie- und klimapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin, begrüßte, dass es nun ein Gesetz für einen konkreten Kohlenausstieg geben soll, äußerte aber deutliche Kritik. Die erzielte Einigung bezeichnete er allerdings als »zu spät, zu langsam, zu industriefreundlich«. Die Kommission empfehle »einen teuren Bummel-Kohleausstieg auf Kosten der Steuerzahler und öffentlichen Haushalte, während sich die Energiewirtschaft ihre alten Kohlekraftwerke durch Abwrackprämien selbst für Uraltmeiler vergolden lässt«, kritisierte Beutin. Auch das verabredete Ausstiegsdatum sei mit 2038 für den Klimaschutz viel zu spät. Um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, müssten die letzten Meiler spätestens zwischen 2030 und 2035 abgeschaltet werden, so Beutin.

Auf deutliche Distanz zu den Kommissionsempfehlungen ging LINKEN-Parteichefin Katja Kipping. »Mutiger Klimaschutz sieht anders aus. Die Vorschläge der Kohlekommission tragen deutlich die Handschrift der Kohle-Lobby«, kritisierte sie in Berlin.

Umweltverbände fordern konkretere Zwischenziele

Auch die Umweltverbände hatten sich ein früheres Enddatum für die klimaschädliche Stromgewinnung aus Braun- und Steinkohle gewünscht, außerdem konkretere Zwischenziele. »Erst im Jahr 2038 aus der Kohle auszusteigen, ist für Greenpeace inakzeptabel«, sagte Geschäftsführer Martin Kaiser. Dies habe der Verband in einem Sondervotum klar gemacht. Immerhin: »Nach Jahren im klimapolitischen Wachkoma bewegt sich Deutschland zumindest wieder.« Immerhin habe nun der Kohlezug den Bahnhof verlassen »und ist nicht mehr aufzuhalten«.

Erste Klimaaktivisten kündigten bereits an, aus Protest gegen den erzielten Kohle-Kompromiss auf die Straße gehen. »Noch 20 Jahre Kohlekraft sind 20 Jahre Kohlekraft zu viel. Dem stellen wir uns entgegen«, sagte die Sprecherin des bundesweiten Aktionsbündnisses Ende Gelände, Nike Mahlhaus. Mit dem von der Kohlekommission verabschiedeten Konzept werde es unmöglich, das Paris-Ziel zu erreichen und die Erderwärmung bei weniger als 1,5 Grad zu halten. »Die Konzerne bekommen hier Geld für nichts«, kritisierte Mahlhaus. Was mit dem Hambacher Wald und den bedrohten Dörfern an den Tagebauen passiere, stehe nicht fest. Das Aktionsbündnis werde am Freitag in einer Protestaktion die Straßen am Berliner Invalidenpark »fluten«. Die Proteste im Hambacher Forst seien erst der Anfang gewesen.

Eckpunkte für ein »Maßnahmengesetz« sollen Ende April vorliegen

Es seien zähe Verhandlungen gewesen, hieß es in Teilnehmerkreisen - die Kommission habe mehrmals vor dem Scheitern gestanden, oder jedenfalls vor der Vertagung auf die folgende Woche. Immer wieder berieten die Verhandler aus Industrie, Gewerkschaften, Politik, Umweltverbänden und Wissenschaft in kleineren Gruppen.

Um kurz vor 5 Uhr morgens am Samstag kamen die Verhandler dann nach 21-stündigen Schlussverhandlungen aus dem Ministerium - sichtlich erschöpft, wenige ganz zufrieden. Denn die Einigung ist ein klassischer Kompromiss, und zwar ein ziemlich teurer. Privathaushalte und die Wirtschaft sollen ab 2023 von möglichen steigenden Strompreisen entlastet werden, was zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten könnte. Dazu kommen weitere Subventionen der energieintensiven Industrie sowie Hilfen für Kohle-Kumpel, die früher aus dem Job ausscheiden und diejenigen, die einen neuen Job brauchen.

Den Kohleländern Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen dürfte das Finanzielle besonders wichtig sein: Die Länder sollen vom Bund über 20 Jahre insgesamt 40 Milliarden Euro Hilfe für den Strukturwandel bekommen, dazu soll die Verkehrsanbindung der Kohleregionen über ein zusätzliches Programm verbessert werden.

Die betroffenen Bundesländer bekommen - wenn die Politik der Kommission folgt - eine gesetzliche Absicherung der Bundeshilfen per Staatsvertrag. Schon Ende April sollen Eckpunkte für ein »Maßnahmengesetz« vorliegen, das festschreibt, wie der Bund den Strukturwandel genau fördern will. 5000 neue Arbeitsplätze durch die Bundesregierung bis 2028 hält die Kommission für »angemessen«.

Auch die Gewerkschaften zeigten sich den Umständen entsprechend zufrieden. »Keiner der Beschäftigten fällt auf die Knie«, sagte der Chef der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis. Es soll ein »Anpassungsgeld« für Beschäftigte ab 58 Jahren geben, die die Zeit bis zum Renteneintritt überbrücken müssen, sowie einen Ausgleich von Renten-Einbußen. Geschätzte Kosten: bis zu fünf Milliarden Euro.

Vor allem Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ist jetzt gefragt. Am Donnerstagabend wollen die Ministerpräsidenten mit ihm und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten. Denkbar ist eine verstärkte Ansiedlung von Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen in den Kohleregionen.

Rund ein Drittel des Stroms kommt heute aus Kohlekraftwerken. Sie werden ohnehin schon nach und nach vom Netz genommen, aber die Klimaschutzziele machen einen schnelleren Ausstieg notwendig. Eigentlich wäre erst in den späten 40er Jahren Schluss gewesen. Als schneller Einstieg in den Ausstieg sollen nun bis 2022 insgesamt sieben Gigawatt Kohlekapazität zusätzlich vom Netz, davon drei Gigawatt Braunkohle, deren CO2-Bilanz besonders klimaschädlich ist.

»Wir haben uns bewusst entschieden, in dem Bericht keine konkreten Kraftwerke zu nennen«, betonte die Co-Vorsitzende der Kommission, Barbara Praetorius. Der Energieversorger Uniper (früher Eon) forderte rasche Klarheit über die Zukunft seines vor der Fertigstellung stehenden Steinkohlekraftwerks in Datteln. »Dazu bedarf es angesichts der gewaltigen Investitionen und vertraglichen Verpflichtungen aus diesem Projekt substantieller Gespräche - auch mit unseren Kunden dieses Kraftwerks«, sagte Uniper-Kraftwerkevorstand Eckhardt Rümmler. Das 1,2 Milliarden Euro teure Kraftwerk am Rande des Ruhrgebiets soll nach derzeitigen Planungen 2020 ans Netz gehen. Es ist das einzige noch im Bau befindliche große Steinkohlekraftwerk in Deutschland.

Die Energiewirtschaft lobte dennoch, der Kompromiss biete Planungssicherheit für die Firmen. Die Eigentumsrechte der Firmen würden gewahrt, so der Branchenverband BDEW. Das zielt auf die Regelung, dass Kraftwerksbetreiber Entschädigungen für Stilllegungen bekommen könnten - die Kosten dafür dürften in die Milliarden gehen. Agenturen/nd

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