- Politik
- Kohleausstieg
Kohlekompromiss ohne Ende
Die Kohlekommission hat einen ersten Fahrplan für den Kohleausstieg vorgelegt. Der Klimakampf ist damit noch lange nicht zu Ende, schreibt Lorenz Gösta Beutin.
Gestern Abend trafen sich die Ministerpräsidenten der Kohleländer mit Kanzlerin Merkel, nachdem im Berliner Kanzleramt offiziell das Ergebnis der Kohlekommission übergeben wurde. Das ist schon erstaunlich, was da in der Nacht zum letzten Sonnabend hinter den dicken Mauern des Wirtschaftsministeriums ausgehandelt wurde.
Bis zuletzt hatten sich die Merkel-Bundesregierungen verschiedener Couleur wie der Teufel das Weihwasser gescheut, das böse K-Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Jetzt also soll bis spätestens 2038 Schluss sein mit der dreckigen Energie aus Kohle, schlägt die Kohlekommission in einem ersten Fahrplan für den Kohleausstieg und Strukturwandel in Deutschland vor.
Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!
Erkauft wurde dieser »historische Kompromiss« mit einem goldenen Handschlag aller Beteiligten. Die Mittel soll die Allgemeinheit über Milliarden an Steuergeldern auf den Tisch legen. Schätzungen gehen von 72 Milliarden Euro in den nächsten 20 Jahren aus, eine fette Rechnung für jahrelanges Nichtstun in der Klimapolitik.
Nur zur Erinnerung: Seit 2009, also gut zehn Jahre schon, gibt es in der 81-Millionen-Nation keinen Rückgang bei den Klimagasemissionen. Deutschland ist nicht nur weiter der größte Produzent von Braunkohle, noch vor China, sondern auch der größte Klimasünder in ganz Europa. Das selbst gesteckte Klimaziel für 2020 wird um zehn Prozentpunkte krachend verfehlt. Für das verfehlte EU-Ziel drohen Milliarden Euro an Strafzahlungen.
Blicken wir zurück. Es war eine fein vom Kanzleramt handverlesene Regierungskommission, die nach sieben Monaten regelmäßiger Treffen und einer abschließenden 12-stündigen Marathonsitzung bis in die frühen Morgenstunden eine mehrere hundert Seiten lange Empfehlung abgegeben hat. Vorgelegt wurde am letzten Wochenende ein Bericht, wie Deutschland durch zusätzliche Maßnahmen im Energiebereich seine Klimaziele erreichen kann.
Der Politik in Berlin und in den Ländern wurde von Industrievertretern, Politikern, Gewerkschaften, Ökoverbänden, Tagebaubetroffenen und Wissenschaftlern ein konkreter Arbeitsauftrag auf die To-do-Liste geschrieben: Kohlekraftwerke sollen abgeschaltet und die Energieriesen entschädigt werden, die riesigen Kohlebagger in den Tagebauen sollen die Erde nicht weiter aufreißen, Dörfer und Kirchen nicht weiter abgerissen werden (leider nicht alle), Spree, Pleiße und Elster nicht weiter verschmutzt, der Hambacher Wald nicht abgeholzt, die Regionen mit dem Ende der Kohleindustrie nicht alleine gelassen werden.
Der in der Tat historische Kohleausstieg soll ohne Massenentlassungen geschafft werden, ohne einen neuen Job-Kahlschlag in den Kohlerevieren in Ost und West. 30 Jahre nach Mauerfall hallt das gebrochene Versprechen von den blühenden Landschaften noch in vielen Ohren unschön nach.
Soweit, so gut. Nun ist der Kommissionsbericht natürlich nur eine Empfehlung. Nicht mehr und nicht weniger ist der Abschlussbericht schließlich. Jetzt muss der Gesetzgeber ran. Und da gibt es für Klimaschützer einiges zu befürchten. Denn trotz der Unverbindlichkeit des geduldigen Kommissionspapiers bläst die alte Allianz der Kohlausstiegs-Dinos schon jetzt volle Kanne zum Gegenangriff.
»Planwirtschaft« sei das, sagt die FDP, »Irrsinn« die AfD. Manch ein Energiepolitiker in der Union lehnt den Kohlekompromiss ganz ab. Nur die Genossen von der SPD scheinen mehr oder weniger gewillt, den Kohlekonsens, den sie für das von ihr vorgeschlagene Klimaschutzgesetz so dringend brauchen, zu verteidigen, und pochen auf rasche Umsetzung.
Der Kompromiss ist nur ein erster Schritt. Für die Klimabewegten muss es jetzt heißen, den Kohleausstieg weiter nach vorne zu verteidigen. Das Gremium war kaum demokratisch legitimiert, es gab viel zu wenige Ostdeutsche am Kommissionstisch, und viele Kröten können wir nicht schlucken. Die Kraftwerksbetreiber wie RWE wollen Entschädigungen für entgangene Profite, das geht natürlich gar nicht. Auch die ungerechten Strompreisprivilegien für die Industrie werden ausgeweitet, mit Geld aus der Staatskasse.
Die Strukturwandelgelder an die Kohleregionen, 40 Milliarden Euro in 20 Jahren, sind satt, jetzt muss damit klug umgegangen werden. Der Hambacher Wald ist längst nicht gerettet, sein Fortbestehen wird völlig weich als »wünschenswert« empfohlen. Auch schwebt über Dörfern wie Proschim in Brandenburg weiter das Kohlebagger-Damoklesschwert. Ganz klar ist, dass ein Kohleausstieg bis 2038 nicht ausreicht, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen: der »Einstieg in den Ausstieg« beginnt zu schwach, zu wenig Kohle soll in den nächsten Jahren vom Netz, unklar sind Klimaschutzmaßnahmen ab 2022.
Übrigens: Beim Klimaschutz ist der Kohlekompromiss nicht mehr als ein Abbild des Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung von 2016, war also längst beschlossene Sache. Schon der Klimaschutzplan 2050 selbst verfehlt den Pariser Klimavertrag im Jahr 2030 um eine schlappe Million Tonnen CO2, die zu viel in die Luft gepustet werden. Und auch das gehört zu Wahrheit: Bis 2030 werden Kohlekraftwerke abgeschaltet, die wegen ihres Alters sowieso hätten dichtmachen müssen, warum gibt es dann aber Entschädigungen? Der Kampf gegen die Kohle, er geht in die nächste Runde. Mit Ende Gelände, mit den Klimastreiks, von unten, auf der Straße, in den Kohlegruben, an den Kohlebahnschienen. Klimaschutz bleibt Handarbeit.
Der Autor ist Klima- und Energiepolitiker der LINKEN im Bundestag und Sprecher seiner Partei in Schleswig-Holstein.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.