- Berlin
- Rassismus
Ausländerbehörde unter Beschuss
Betroffene zeichnen skandalöses Bild - Innenverwaltung dementiert
Isabella aus Kolumbien ist nach wie vor schockiert. Für die Studentin, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, glich die turnusgemäße Verlängerung ihres Visums einem Verfahren, mit dem Schwerkriminelle bedacht werden.
Es ereignete sich im vergangenen September in der Dienststelle Keplerstraße des zuständigen Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO). Neben den nötigen Papieren brachte sie einen Deutschmuttersprachler als Begleitung mit. Der erste Sachbearbeiter zeigte sich irritiert, da Ausgaben in Kontoauszügen geschwärzt waren und schickte sie zu einem Kollegen. Auch Isabella war verwundert, da das Schwärzen erlaubt ist und sie bis dato noch nie Probleme mit ihrem Visum hatte. Die Pressestelle der Senatsinnenverwaltung sagt sogar, dass jenseits des Mittelzuflusses »alle anderen Kontovorgänge geschwärzt werden können und sollen«.
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Was dann geschah, kann sie bis heute kaum glauben. Der Sachbearbeiter L. behauptete ihrer Schilderung zufolge, dass in den Kontoauszügen zu viel geschwärzt sei. Er hätte bereits Erfahrungen mit Kolumbianer*innen, die in Drogengeschäfte verwickelt gewesen seien und kenne das Spiel, soll er ihr gesagt haben. »Diese krasse Stereotypisierung kam ganz plötzlich und war für mich total erniedrigend«, sagt Isabella.
Doch das war erst der Anfang. Anschließend habe sie alle Kontoauszüge - auch die ihres kolumbianischen Kontos - erneut ausdrucken und vorzeigen müssen. Diese sollen daraufhin nach spanisch klingenden Namen durchsucht worden sein. Sie sei nach Personen und ihren Verbindungen zu ihnen befragt worden sein. Der Sachbearbeiter soll schließlich sogar Kontakt zu kolumbianischen Behörden aufgenommen haben. Selbst Überweisungen, die sie für Simultanübersetzungen erhielt, sollen Herrn L. stutzig gemacht haben.
Die Pressestelle bestätigt lediglich, dass die Ausländerbehörde in aller Regel »die Vorlage geeigneter Nachweise für den Mittelzufluss«, zum Beispiel Kontoauszüge, verlange und beispielsweise bei finanzieller Unterstützung durch die Eltern auch Namen abgleicht.
Nach rund sieben Stunden, die vor allem aus bangem Warten bestanden, sei Isabellas Visum schließlich doch verlängert worden. Sie solle sich gut benehmen, keinen Ärger mit der Polizei bekommen und sich nicht beim Schwarzfahren erwischen lassen, sonst hätte sie ein Problem, soll der Sachbearbeiter zum Schluss noch gesagt haben.
Es scheint sich um keinen Einzelfall zu handeln. Rechtsanwalt Volker Gerloff kann von zahlreichen Diskriminierungsfällen berichten, die er im Zusammenhang mit einem Verfahren 2017 gesammelt hat. »Es ging um ein Strafverfahren, in dem meine Mandantin beschuldigt wurde, Herrn P. von der Ausländerbehörde beleidigt zu haben. Tatsächlich hatte er sie erniedrigt und sie hatte dazu deutliche Worte gefunden«, so Gerloff.
Besagter Herr P. soll einer schwer erkrankten Frau, die in Biomedizin promovierte, gesagt haben: »Wir brauchen in Deutschland gesunde und leistungsfähige Ausländer. Kranke Ausländer sollten dahin gehen, wo sie herkommen«.
Drei Monate später habe bei der Studentin die Polizei an der Tür geklingelt und ihren Pass beschlagnahmt. Ein erneuter Besuch bei der Ausländerbehörde förderte zutage, dass ihre Unterlagen an die Universität zurückgesandt worden seien. Daraus sei gefolgert worden, dass sie sich nicht um eine Verlängerung des Studierendenvisums bemüht habe.
Die rassistische Aussage zu leistungsfähigen Ausländern wird auch von einer indischen Studentin bezeugt, als diese ihr Studierendenvisum auf ein Ausbildungsvisum ändern lassen wollte. Sie habe sich zudem die Frage gefallen lassen müssen, warum sie nicht einfach von einem deutschen Mann schwanger werden würde, das wäre doch das, was ausländische Frauen in der Regel täten. Einige Betroffene begaben sich nach Erfahrungen mit der Behörde in therapeutische Behandlung.
Die Pressestelle der Innenverwaltung teilt auf nd-Anfrage mit, dass nach Aussage der Ausländerbehörde »die behaupteten Äußerungen keinesfalls gemacht worden« seien und es in diesem Zusammenhang auch keine Dienstaufsichtsbeschwerde gegeben hätte. Beschwerden über Diskriminierung sind nach den Zahlen der Innenverwaltung sehr selten. »Seit 2017 wurden drei schriftliche Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Mitarbeitende des Studierendensachgebiets gestellt, von denen keine begründet war. Dem stehen zehn Lobe wegen besonders freundlicher und zuvorkommender Bedienung gegenüber«, lässt die Ausländerbehörde über die Pressestelle mitteilen.
Isabella, der Anwalt Volker Gerloff und der Großteil der Erfahrungsberichte im Internet zeichnen ein anderes Bild.
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