Überwachung gebremst

KfZ-Kennzeichen dürfen in drei Bundesländern nicht mehr gescannt werden

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die automatisierten Kfz-Kennzeichenkontrollen in drei Bundesländern für in Teilen verfassungswidrig erklärt. In dem am Dienstag veröffentlichten Beschluss kippte das höchste deutsche Gericht teilweise Regelungen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Die Vorschriften sind demnach bis Ende des Jahres größtenteils übergangsweise weiter anwendbar. (Az. 1 BvR 142/15, 1 BvR 2795/09, 3187/10)

Das Urteil wird eher mit Verstößen der jeweiligen Länderbehörden begründet, nicht mit der von den Klägern intendierten Ablehnung einer Massenüberwachung. Der Vorwurf einer übertriebenen Überwachung wird am ehesten noch im Fall Bayern erhoben: Hier fehlte den Verfassungsrichtern ein gewichtiger Anlass für die Kennzeichenkontrollen im Bereich des Grenzschutzes. Die nun zu verwerfenden Vorschriften seien nicht auf den Schutz von Rechtsgütern »von zumindest erheblichem Gewicht« beschränkt.

Bei der Regelung in Baden-Württemberg rügte das Verfassungsgericht, dem Land fehle es bei der automatisierte Kennzeichenkontrolle zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollen an der Gesetzgebungskompetenz. Ebenfalls aus formellen Gründen seien auch die hessischen Regelungen zur automatisierten Kennzeichenkontrolle an polizeilichen Kontrollstellen verfassungswidrig. Beide Länder müssen künftig ihren Datenbestand enger eingrenzen, mit dem die erfassten Kennzeichen abgeglichen werden.

Geklagt hatte unter anderem der bayerische Informatiker Benjamin Erhart. Er ist schon seit 2008 mit Unterstützung von Spendern auf dem Klageweg gegen das massenhafte automatisierte Scannen von Kfz-Kennzeichen. Erhart freute sich über den Erfolg, bedauerte aber zugleich den langen Weg durch viele Instanzen.

Ein weiterer Kläger ist der Piratenpolitiker und Jurist Patrick Breyer, der zur »Enttarnung« von Scanner-Standorten aufgerufen und in der vergangenen Woche eine Bauanleitung für ein Gerät zum Aufspüren der Kennzeichenscanner online veröffentlicht hatte. Breyer verwies auch auf die aktuelle Gefahr, dass Verstöße gegen Dieselfahrverbote durch Scanner automatisch erfasst werden könnten. Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtes dürften die Diesel-Scanner-Pläne des Bundesverkehrsministers vom Tisch sein, meint der sich selbst so nennende »digitale Freiheitskämpfer«. Angesichts der der geplanten Überwachung der Diesel-Fahrverbote mittels Kennzeichen-Scannens hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bereits Ende 2018 Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung moniert. Offen ist eine weitere Verfassungsbeschwerde Breyers gegen den Massenabgleich von Nummernschildern durch die Bundespolizei.

Nach den vom Verfassungsgericht gekippten Regelungen scannte zum Beispiel Bayern an 15 Standorten Kfz-Kennzeichen zum Abgleich mit Polizeidatenbanken. Monatlich wurden 8,5 Millionen Kennzeichen erfasst. Allerdings waren 98 Prozent der Treffermeldungen falsch, das die Scanner ein großes »i« nicht von der Ziffer »1« unterscheiden, ebensowenig eine Null von einem großen »o«. In Baden-Württemberg und Hessen wurden zwar deutlich weniger Kennzeichen erfasst, im gesamten Jahr 2017 jeweils maximal 250 000. Aber auch dort waren knapp über 90 Prozent der Treffer falsch.

In Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden werden mit den Scannern schon sämtliche Fahrzeugbewegungnen bis zu zwei Jahre auf Vorrat gespeichert Europaweit wurden durch Polizei und Geheimdienste drei Millionen Kfz-Kennzeichen ausgeschrieben, in Deutschland insgesamt fast eine Million. Europaweit ist das Sammeln verdächtiger Autokennzeichen schon weit voran gekommen. Nummernschilder könnnen mittels der Eucaris-Datenbank analysiert werden, die alle Kfz-Schilder speichert, die mit Diebesgut oder illegalen Aktivitäten aller Art in Verbindung gebracht werden. Eucaris gehört zu den Datenbanken, die von der EU verwaltet und entlang der EU-Außengrenze eingesetzt werden.

Mit Agenturen

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.