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Der Sonderling vom Wedding
Es ist eine bekloppte Idee. Ich will ein paar alte Möbel entsorgen. Das an sich ist nichts Ungewöhnliches. Aber ich habe mir vorgenommen, einen Entrümpler damit zu beauftragen. Und das im Wedding. Hier in diesem schönen Berliner Stadtteil ist es Tradition, alte Möbel auf die Straße zu stellen, wo sie von Wind und Wetter in hundert Jahren zersetzt werden.
Drei Tage lang sammele ich alle Umzugsfirmenflyer aus dem Briefkasten und entscheide mich dann für »Helga-Umzüge«. Beim Blick ins Internet stelle ich fest, dass viele Entrümpelungs- und Umzugsfirmen in Pankow beheimatet sind. Welchen Grund hat das? Hat der Bezirk so eine Art Subventionsprogramm gestartet, um Pankow zum Silicon Valley der Berliner Umzugsfirmen zu machen?
Ich rufe bei »Helga-Umzüge« an und spreche mit einem Kundenberater. Er sagt, er könne gleich vorbeikommen. Kurz überlege ich nachzufragen, ob irgendwann mal jemand aus dem Wedding bei ihnen angerufen hat, lasse es dann aber sein. Bald darauf zeige ich ihm die Sachen, die ich loswerden möchte. Zusammen so etwa 13 Stück Möbel bzw. Computerschrott. Er vermerkt sich nichts. Ich hatte vorab vermutet, dass sich der Preis anhand des Umfanges berechnet, aber offenbar könnte ich ihm drei Zimmer voller Schrott zeigen und es würde am Preis nichts ändern. Dann setzt er sich, füllt ein Formular aus und nennt mir den Preis: 260 Euro.
Ich hatte mich bei der Kalkulation anhand der Mann+Lkw+Stunde-Tabelle orientiert, die stets auf den Flyern zu finden ist, und mit 160 Euro gerechnet. Wahrscheinlich gilt die aber für einen Umzug, nicht für eine Entrümpelung. Auf dem Formular ist die BSR, die Berliner Stadtreinigung, als Lieferort vermerkt. Das beruhigt mich, denn ich hatte befürchtet, dass sie mit dem Lkw nach Brandenburg fahren und die Sachen dort in den Wald kippen.
Eine Woche später stehen zwei junge Männer vor der Tür. Schnell merke ich, dass die beiden eher auf Umzug als auf Entrümpelung spezialisiert sind. Zwar gehe ich mit ihnen herum und zeige, was wegkommt, aber kurz darauf fangen sie an zu fragen, ob der Spiegel, die Leiter oder der Staubsauger auch wegsollen. Einmal muss ich höllisch aufpassen, denn der eine hat den Reisekoffer schon halb aus der Wohnung getragen. Aber das bringt mich auch in die Bredouille, denn auf den schnellen Blick sehe ich noch zwei, drei Sachen, die auch wegkönnen, aber wenn ich mich jetzt dazu entscheide, dann bereue ich es vielleicht später. Ich schaue aus dem Küchenfenster und sehe, dass die beiden die Sachen im Hof stapeln. Meine Güte, was ist, wenn sie die jetzt stehen lassen und einfach wegfahren, sobald sie das Geld kassiert haben?
Nach einer halben Stunde kann ich sicher sein. Ich habe das Unmögliche vollbracht. Eine ordentliche Entrümpelung.
Der eine von den beiden Burschen hat mir sogar auf die Schulter geklopft und gemeint: »Sie sind ein Vorbild. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Weddinger Ihrem Beispiel folgen und die Welt zu einem besseren Ort wird.« Robert Rescue
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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