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- Remake von "M"
Ein Sender findet Kreativität
Fritz Langs Klassiker »M« aus dem Jahr 1931 ist jetzt als Serienremake zu sehen
Herrje, mögen viele gedacht haben, als ausgerechnet RTL 2017 ein Remake von »M« angekündigt hat: Zu einzigartig ist Fritz Langs Kinolegende auch 88 Jahre nach ihrer Premiere, zu plakativ sind private Fernsehserien gemeinhin aus deutscher Produktion. Doch dann übernahm ein früherer Neonazi das österreichische Innenministerium - und plötzlich erschien der Gedanke, die Kindermörderhatz durchs schwarzweiße Berlin kurz vor der nationalsozialistischen Machtergreifung ins trübbunte Wien kurz nach der rechtspopulistischen Machtergreifung zu verlegen, gar nicht mehr so abwegig.
Schließlich zeigt RTL den Sechsteiler nicht nur auf seiner Online-Plattform TV Now. Es hat dafür auch noch den derzeit mutigsten Regisseur deutscher Sprache engagiert: David Schalko. Wie in den Milieustudien »Altes Geld« und »Braunschlag« seziert der Showrunner die Abseiten bürgerlicher Normalität mit einer sozialpsychologisch präzisen Realsatire und bleibt dabei bedrückend eng am Original seines österreichischen Landsmannes, ohne ihm nach dem Munde zu reden. Muss er auch gar nicht.
Die politisch wie medial geschürte Hysterie in Langs heillos zerrüttetem Berlin anno 1931 ähnelt schließlich beklemmend derjenigen in Schalkos ähnlich zerrüttetem Wien anno 2019 - nur, dass reaktionäre Nationalisten seinerzeit im Chor mit Zeitungsreportern zur Treibjagd auf den Zivilisationsbruch Kindsmord bliesen, während der brandstiftende Innenminister (Dominik Maringer) sein Gift mithilfe von Moritz Bleibtreu als aasigem TV-Tycoon verspritzt, bis Vernunft Kopflosigkeit weicht und alle Moral der Macht.
Ergo blasen alle, wirklich alle zum Halali auf einen Täter, der seine Opfer nicht nur tötet, sondern zur Schau stellt: digitale Nachrichtendealer, rumänische Diebesbanden, enthemmte Biedermänner, standesbewusste Herrenmenschen, politische Kriegsgewinnler. Wie Schalko dieses Panoptikum zwar überzeichnet, aber selten karikiert, das ist sein Alleinstellungsmerkmal. Wenn der vermeintlich unterschichtenfreundliche Innenminister beim Strategiegespräch mit der Boulevardpresse vorm Spiegel seines Barockschlosses tanzt, mag das daher artifiziell wirken. Beim zweiten Blick reißt es der Erregungsindustrie entlarvend den Slimfit-Zweiteiler vom Leib.
Gut, Staffage, Kulissen, Poesie: aus alledem suppt permanent die Lust an Drama plus Pathos und Drama. Dauernd krächzen symbolische Vögel. Im synthetischen 80er-Sound wird Edvard Griegs gepfiffenes Leitmotiv, das bei Lang noch die Nähe des Mörders andeutet, zum Tinnitus ausgewalzt. Und als Freak im Pelzmantel wirkt Udo Kier wie Sophie Rois als Gangsterboss mit Gehstock so gnadenlos aufgebauscht, dass die Frage aufkommt: warum stehen deutschsprachige Serien anders als internationale von »Breaking Bad« bis »Stranger Things« nur so auf Effekthascherei? Die Antwort, schon wieder: Schalko!
Das Alltagsvarieté dieses Grenzgängers lässt alle Exzentrik so virtuos im Mainstream verschwimmen, bis selbst ganz gewöhnliche Ermittler (fabelhaft: Sarah Viktoria Frick und Christian Dolezal) mehr aus dem Reigen saftiger Charaktere hervorstechen als ein Ballonverkäufer im Clownskostüm, den sie an jedem Tatort treffen. Schalkos Gespür für Rosenmontage im Aschermittwoch bringt den Karneval der Absurditäten daher nie ganz aus der Balance. So belegt »M«, dass selbst ein Sender wie RTL mit dem richtigen Showrunner am richtigen Platz Fernsehen kreieren kann, das in zwei Minuten mehr Esprit und Witz und Kreativität hat als 23 Jahre »Cobra 11«.
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