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Zu politisch fürs Gemeinwohl
Wie konkret dürfen sich gemeinnützige Organisationen äußern?
Der Status der Gemeinnützigkeit hat für Organisationen und Vereine in Deutschland zahlreiche Vorteile. Bürger können Spenden von der Steuer absetzen, die Organisationen können leichter Fördergeld beantragen und einfacher Zugang zu Räumen erhalten. Man wird generell als glaubwürdiger und seriöser, da eben am Interesse der gesamten Gesellschaft ausgerichtet, wahrgenommen. Für unzählige Vereine ist der Status wichtig, finanziell nicht selten sogar überlebenswichtig. Doch wer darf sich eigentlich gemeinnützig nennen? Diese Frage ist schon seit Jahren ein Politikum. Ein Grundsatzurteil des Bundesfinanzhofs von Dienstag hat dem Streit nun wieder befeuert. Im Fokus der Kontroverse: Das globalisierungskritische Netzwerk Attac. Aus Sicht des obersten Finanzgerichts ist es zu politisch, um als gemeinnützig gelten zu dürfen. Diese Entscheidung könnte Auswirkungen auf Tausende Nichtregierungsorganisationen in Deutschland haben.
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Formell entscheiden über den Status der Gemeinnützigkeit die Finanzämter. Das Steuerrecht, die sogenannte Abgabenordnung, legt exakt 25 gemeinnützige Zwecke fest. Darunter findet sich beispielsweise die Förderung der Kriminalprävention, des Schach, der Kleingärtnerei, des Karnevals, der Volksbildung oder des »demokratischen Staatswesens«. Dem Gesetzgeber war mit den Regelungen ursprünglich vor allem wichtig, eine verdeckte Parteienfinanzierung zu verhindern. Soweit die Theorie. In der Praxis gibt es eine bunte Palette an Initiativen mit besagtem Status. Der Kleingartenverein von nebenan ist gemeinnützig, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ist es auch - und ebenso die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik, ein Lobbyverein der Rüstungsindustrie. Kritiker bemängeln schon länger eine Unschärfe des Gesetzes, die verschiedene Auslegungen ermögliche.
Attac war ab dem Jahr 2000 gemeinnützig. 2014 wurde dann dem Netzwerk vom Finanzamt Frankfurt am Main ohne Vorwarnung der Status entzogen. Die Begründung: Der Verein sei nicht ausschließlich an der Verwirklichung der vom Gesetzgeber festgelegten Zwecke orientiert. Er habe stattdessen »allgemeinpolitische Ziele« verfolgt. Attac streitet unter anderem für eine Regulierung der Finanzmärkte, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und ein Grundeinkommen - das Frankfurter Finanzamt konnte darin keine Zwecke sehen, die der Gemeinheit zu Gute kommen. Die »Beeinflussung zur politischen Meinungsbildung« war für die Behörde grundsätzlich nicht gemeinnützig. Einerseits ging es den Finanzamt um die Bandbreite der politischen Forderungen bei Attac, andererseits um die Bandbreite der Aktionsmittel. Hier begnüge sich eine Organisation nicht mit Gutachten oder Bildungsveranstaltungen, sondern wollte eben auch mit Großdemonstrationen und Kampagnen auf die öffentliche Debatte einwirken.
Attac klagte gegen den Gemeinnützigkeitsentzug. 2016 gab das Hessische Finanzgericht den Globalisierungskritikern Recht: Es sah die Tätigkeiten des Netzwerks durchaus in dem Zweck »Bildung« der Abgabenordnung repräsentiert. Gemeinnützige Zwecke wie eben Bildung oder die Förderung des demokratischen Staatswesens seien zudem ohne Einflussnahme auf die politische Willensbildung kaum zu erreichen, argumentierten die Richter. Politische Aktivitäten würden einer Gemeinnützigkeit nicht im Wege stehen, solange sie in ein umfassendes Informationsangebot eingebettet seien und im Gesamtkontext eines gemeinnützigen Zweckes stünden.
Der Sieg von Attac währte jedoch nur kurz. Das Frankfurter Finanzamt ging auf Druck des Bundesfinanzministeriums in die Revision. Der Fall landete beim obersten deutschen Finanzgericht, dass sich nun für eine der beiden Auslegungen entscheiden musste. Die restriktive des Frankfurter Finanzamts oder die liberale, weitgefasste des Hessischen Finanzgerichts. Letztlich entschieden sich die Richter für die restriktive Sichtweise.
Attac überschreitet nach Einschätzung des Bundesfinanzhofs die Grenze zur »allgemeinpolitischen Betätigung«. Das Netzwerk habe deshalb keinen Anspruch auf steuerliche Vergünstigungen, heißt es in der Urteilsbegründung vom Dienstag. Gemeinnützige Vereine dürften zwar punktuell politisch tätig werden, um Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Es werde aber eine Grenze überschritten, wenn die politische Arbeit in Aktivismus umschlage und Forderungen zu den verschiedensten Themen erhoben werden. Gemeinnützige Bildungsarbeit setze »ein Handeln in geistiger Offenheit« voraus, die bei den Kampagnen von Attac nicht mehr gegeben sei. Die Richter bestimmten in ihrer Entscheidung die Definitionsbreite der beiden Satzungszwecke »Volksbildung« und »Demokratisches Staatswesen«.
Die formelle letztgültige Entscheidung zum fortwährenden Entzug der Gemeinnützigkeit muss nun wieder das Hessische Finanzgericht treffen. Dieses orientiert sich jedoch an den Vorgaben des obersten Gerichts und wird voraussichtlich keine von diesem abweichende Entscheidung treffen. Attac steht nach dem abschließenden Urteil aber der Rechtsweg offen - ein Gang bis vor das Bundesverfassungsgericht könnte möglich sein.
In seiner Wirkung ist das Urteil des obersten Finanzgerichts nicht zu unterschätzen. Seine Argumentation stützt vor allem eine konservative Sichtweise auf Gesellschaft, in der Parteien die hauptsächlichen politische Akteure sind. Gemeinnützige zivilgesellschaftliche Initiativen haben sich in dieser Sichtweise auf »unpolitische« oder inhaltlich eingeschränkte Zwecke zu beschränken. Sie sollen eher leise im Hintergrund agieren, als öffentlichkeitswirksam Protest oder Unzufriedenheit zu artikulieren. Der Einsatz großer Teile der Zivilgesellschaft für eine gerechtere, solidarischere, nachhaltigere Gesellschaft wird als Partikularinteresse ausgelegt und als nicht förderwürdig deklariert. Jegliches Handeln, dass den politischen Betrieb stören könnte, gerät unter »Aktivismus«-Verdacht. Anstatt eine dynamische Zivilgesellschaft steuerlich zu fördern, werden dieser durch das Urteil Ausdrucksmöglichkeiten und Ressourcen genommen. Die Interpretation des Gerichts stellt Tausende Vereine und Nichtregierungsorganisationen vor die kaum zu lösende Frage: Wie soll man sich für Bildung und Demokratie einsetzen, ohne nicht auch gleichzeitig politisch zu sein? Auf diese Probleme haben in den vergangenen Tagen unzählige Kritiker und Nichtregierungsorganisationen hingewiesen.
Mehr als 80 Vereine und Stiftungen wollen diese Unsicherheit nicht hinnehmen. In der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« setzen sie sich für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht ein. Die Initiativen, darunter Attac, Amnesty International oder Brot für die Welt, fordern eine Überarbeitung des Steuerrechts, so dass gemeinnützige Organisationen Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen dürfen. Weiterhin sollen zusätzliche gemeinnützige Zwecke aufgenommen werden, da die bisherigen das Spektrum zivilgesellschaftlicher Arbeit im Sinne des Allgemeinwohls nicht abdecken würden. »Zivilgesellschaftliches Engagement sollte nicht nach einer Freund-Feind-Logik bewertet werden«, erklärte Stefan Diefenbach-Trommer, der Vorstand der Allianz, jüngst in einer Mitteilung. »Gemeinnützige Organisationen leisten eine wichtigen und förderwürdigen Beitrag zur Demokratie - gerade dann, wenn sie denen, die tatsächlich Macht haben, kritisch auf die Finger schauen.«
Diejenigen, die die Macht besitzen, freuten sich derweil in den vergangenen Tagen über das Urteil des Bundesfinanzhofs. Die Union stellte sogleich die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe erneut infrage, die FDP die der umstrittenen Tierrechtsorganisation Peta. Nordrhein-westfälische Finanzämter wollen der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten« den Förderstatus aberkennen. Gemeinnützigkeit ist zu einem politischen Kampfinstrument geworden.
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