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Ewige Jugend
Leo Fischer über den Zorn, den alte Konservative über die klimastreikenden Schüler ausgießen
Eigentlich ist es ganz lustig, wie übersichtlich, geradezu erichkästnerhaft die Welt gerade wieder wird: Kinder schwänzen die Schule, um alte Leute zu ärgern, und die alten Leute ärgern sich darüber. So bilderbuchartig geht es gerade bei den Schülerprotesten zum Klima zu: Schüler machen Schülersachen, und die alten Leute kriegen sich nicht mehr ein vor Wut. Sie verfassen hohntriefende Facebook-Kommentare oder zornentbrannte Appelle an Jugendamt und Schuldirektor, sie veröffentlichen lange Analysen über die Perfidie der Eltern von Greta Thunberg, die letztlich nichts anderes macht, als den wissenschaftlichen Konsens der letzten 30 Jahre pointiert zusammenzufassen.
Neu ist, dass sich die alten Leute nicht mehr für alt halten. Im Gegenteil haben sie, wie der »Welt«-Chefredakteur Ulf Poschardt, ehemaliger Poptheoretiker und Porsche-Fahrer, Jugendlichkeit lange Zeit erfolgreich monopolisiert. Aus Angst vor Greta Thunberg aber fallen noch die letzten berufsjugendlichen Hüllen, erreicht der Popdandy schließlich doch noch den Habitus des verhärmten Opas, der Kinder mit dem Stock vom Grundstück jagen möchte: »Gretas Panik will Stress und Angst auslösen«, weint er und vergleicht sie mit »altmodischen, bösen Lehrern«. Der kleine Ulf will an der Information abgeholt werden.
Der Kommentator der »FAZ«, Jasper von Altenbockum, versucht gar nicht erst, als konservative Avantgarde zu wirken, sondern holt den Stock gleich ohne Umschweife heraus: Den Protestierenden sei der »Klimawandel nicht wichtiger als ein schulfreier Tag«. Genau, darum geht es! Um Freistunden! Schüler sollen zu Hause in ihren Jugendzimmern demonstrieren, nach Einbruch der Dunkelheit, wo sie Jasper von Altenbockum und seinem sagenhaften Gespür für Doppelmoral nicht in die Quere kommen.
Warum überhaupt die Konservativen sich so an den Klimaprotesten abarbeiten, will auch nicht recht einleuchten. Müssten sie dieser Bewegung nicht aus tiefster Seele applaudieren? Hier soll doch was erhalten werden; hier möchte eine Generation in 20 Jahren immer noch auf dem Planeten leben, mit dem auch der Konservative aufgewachsen ist; hier wird nach starken Kollektiven und staatlichem Handeln gerufen - warum hüpft den Konservativen hier nicht das Herz? Wenn sie ehrlich zu sich selber wären, müssten sie zugeben, dass ihnen der Planet und die so oft beschworenen »künftigen Generationen« herzlich wurscht sind. Nur sie selbst wollen unverändert bleiben, nichts ändern oder lernen müssen - und ewig jung bleiben.
Besonders bizarr ist es, wenn solche Ausfälle aus einem linksalternativen Milieu kommen, wo man zwar alle gesellschaftlichen Konventionen längst als spießig enttarnt und hinter sich gelassen hat, nun aber auf einmal Schnappatmung bekommt, wenn Kinder die Schule schwänzen. Die geschwänzten Stunden ersetzt der linke Schülerkritiker dann mit seinem eigenen Privatunterricht, ruft die Klassiker der revolutionären Literatur auf, doziert von Haupt- und Nebenwidersprüchen - lest doch erst mal Marx, ihr Rotzlöffel! Dass sie es tun, glaubt er freilich selber nicht, ja will es insgeheim nicht einmal; den Elan, den er selbst nicht mehr aufbringt, neidet er anderen und bringt dann nur noch die Reste seiner alternativen Bildung gegen sie in Stellung.
Das Bilderbuchhafte dieser Auseinandersetzung zwischen Jung- und Altjugendlichen hat eine bittere Note. Denn die Jugend, die die Werbung so fetischisiert und der sich alle irgendwie zurechnen, die von 16 bis 66 »nie erwachsen werden wollen«, gibt es statistisch immer weniger. Jugendliche sind eine Minderheit, der in diesem Land eine stetig wachsende Übermacht feindseliger Greise in Porsches gegenübersteht. Und die gönnt ihnen nicht einmal mehr das Schulschwänzen.
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