Passentzug für deutsche IS-Kämpfer

Berlin will Freiwilligen von Terrormilizen Staatsbürgerschaft aberkennen / Linkspartei: Vorschlag nicht durchdacht

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Mehr als 1000 Islamisten sind seit 2013 aus Deutschland in Richtung Irak und Syrien ausgereist, um für das selbst ernannte Kalifat zu kämpfen. Die Schreckensherrschaft des »Islamischen Staates« ist mittlerweile so gut wie Geschichte - Dutzende deutsche Dschihadisten wurden von den kurdisch geführten Syrisch-Demokratischen Kräften gefangen genommen. Nordsyrische Politiker drängen die Bundesregierung seit Monaten, ihre radikalisierten Staatsbürger zurückzunehmen. Sie würden eine Belastung für die Region darstellen. In Berlin will man sich dem Problem jedoch offenbar auf andere Art entledigen: Die Große Koalition hat am Wochenende eine Gesetzesregelung zum Entzug der Staatsangehörigkeit bei IS-Kämpfern angekündigt.

Voraussetzung für den Passentzug ist laut Innenministerium, dass die IS-Freiwilligen eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen und volljährig sind. Zudem soll das Gesetz nur für jene gelten, die sich künftig an Kämpfen beteiligen. Andernfalls läge ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vor. Von der geplanten Neuregelung solle »ein Signal« ausgehen, es solle »präventive Wirkung« entfalten, sagte eine Sprecherin am Montag.

Das Gesetz soll offenbar zügig verabschiedet werden. Man sei sich mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) einig, dass man das Vorhaben »zeitnah« umsetzen wolle, erklärte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) am Samstag. »Wenn Deutschen, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, die konkrete Beteiligung an einer Kampfhandlung einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann, müssen sie künftig die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können«, so die Politikerin. Darauf hätten sich SPD und Union bereits im Koalitionsvertrag verständigt. Der von Seehofer vorgelegte Gesetzentwurf enthalte allerdings Regelungen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen. »Klar ist, dass wir verfassungsfeste und rechtsstaatliche Lösungen brauchen. Darüber führen wir aktuell Gespräche innerhalb der Bundesregierung.«

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtete am Samstag unter Berufung auf den Entwurf aus dem Innenministerium, Seehofer habe etwa eine Verschärfung der Regelungen für Kinder unter fünf Jahren geplant, deren Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft rechtswidrig, beispielsweise durch Täuschung, für sich und ihre Familien erlangt haben. Eigenes vorwerfbares Verhalten sei keine Voraussetzung. Bislang haben Behörden in solchen Fällen einen Ermessensspielraum.

Auch sollte dem Bericht zufolge eine Ausnahme eingeschränkt werden, die es Schutzsuchenden nach der Genfer Flüchtlingskonvention erlaubt, beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ihren bisherigen Pass zu behalten. Diese Sonderregelung erspart es Flüchtlingen bislang, noch einmal Kontakt zu den Behörden ihres Herkunftsstaates aufzunehmen, aus dem sie geflohen sind.

»Nicht in jedem Fall ist bei Asylberechtigten und gleichgestellten Schutzbedürftigen die Stellung eines Entlassungsantrags bei der Auslandsvertretung ihres Herkunftsstaates von vorn herein unzumutbar«, zitierte das RND. Auch sei in Betracht zu ziehen, Vertrauenspersonen oder Rechtsanwälte mit der Vorsprache in der Auslandsvertretung zu beauftragen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte dem Bundesjustizministerium erst vor wenigen Tagen vorgeworfen, das Gesetzesvorhaben zu verschleppen. Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte Barley noch am Freitag auf, »endlich ihre Zustimmung« zu geben.

Die Oppositionsparteien äußerten sich kritisch zu dem Gesetzesvorhaben. Das von der Koalition geplante Gesetz zum Passentzug von Dschihadisten kommt nach Überzeugung der FDP zu spät. Fraktionsvize Christian Dürr sagte am Montag gegenüber Medien, er habe schon vor ein paar Jahren gefordert, Doppelstaatlern, die sich einer ausländischen Dschihadisten-Miliz anschließen, den deutschen Pass zu entziehen.

Kritik gab es auch von der Linkspartei. »Wir fordern keine entsprechende Änderung für den Entzug der Staatsangehörigkeit«, sagte die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut am Montag. »Die Bundesregierung versucht, sich ihrer Verantwortung zu entziehen.«

Berlins Lösungsvorschlag sei laut der Politikerin zudem nicht gründlich durchdacht. Unklar sei etwa, auf welcher Grundlage man die Kampfhandlungen für eine Terrormiliz nachweisen könne, wenn die Person nicht vor einem Gericht verurteilt wurde. Auch stelle sich die Frage, ob Menschen in die Staatenlosigkeit rutschen, wenn andere Staaten ähnliche Regelungen schaffen würden. Generell sei wichtig, dass die Einschätzung über eine Beteiligung an konkreten Kampfhandlungen von einem »neutralen Akteur transparent und justiziabel« vorgenommen werde. »Das halte ich insbesondere für schwer umsetzbar mit diesem Vorhaben«, so Akbulut.

Angesichts der Mängel des Gesetzesentwurfs plädiert die LINKE-Abgeordnete für eine Verurteilung der deutschen IS-Kämpfer vor einem internationalen Sondertribunal. »Der Tatbestand schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie der genozidalen Verfolgung der Jesidinnen und Jesiden, muss entsprechend vor einem Sondertribunal verurteilt werden.«

Kritiker warnten weiterhin, dass Seehofer mit seinem Entwurf gar nicht primär den Umgang mit IS-Kämpfern regeln, sondern allgemeiner die Rechte von Geflüchteten und Zuwanderern beschneiden will. »Wenig überraschend wird über IS-Kämpfer gesprochen, um dann ganz andere Dinge durchzusetzen«, erklärte der Politikwissenschaftler und Türkeiexperte Ismail Küpeli am Sonntag. »Ich kann nur an alle appellieren, dass Bestimmungen, die die Staatsbürgerschaft von Menschen hierzulande leichtfertig gefährden, möglichst vermieden werden.«

Doppelstaatler verlieren nach geltender Gesetzeslage den deutschen Pass, wenn sie ohne Genehmigung der deutschen Behörden in ausländischen Streitkräften Dienst leisten. Für Kämpfer in Milizen wie den Kampfverbänden des Islamischen Staats (IS) gilt diese Regelung allerdings nach gängiger Rechtsauffassung nicht, weil die Dschihadistenmiliz trotz ihres Namens keine »Staatsqualität« hat. Die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag sollte hier Abhilfe schaffen.

Unklar bleibt, auf welche weiteren Milizen das Gesetz angewendet werden könnte. Deutsche Freiwillige hatten sich ebenso der syrisch-kurdischen Miliz YPG und der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK angeschlossen. Gerade erstere tragen die Hauptlast im Kampf gegen den IS. Mit Agenturen

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