Männerdomäne Müllwerker wankt

Bei kommunalen Straßenreinigungen arbeiten wenig Frauen, doch ihre Anzahl wächst

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch ist es in vielen deutschen Städten ein seltenes Bild: Frauen in klobiger Arbeitskleidung, die schnell und scheinbar mühelos große, schwere Müllcontainer durch Hinterhöfe und über Bürgersteige wuchten, in den Aufhängungen der Spezialtransporter verankern, um sie anschließend entleert an ihren angestammten Platz zurückzubringen. Doch auch diese Männerdomäne in der Berufswelt ist ins Wanken geraten. 23 Müllwerkerinnen aus mehreren Bundesländern versammelten sich am Donnerstag zu einem Netzwerktreffen im Betriebshof Wilmersdorf der Berliner Stadtreinigung (BSR). Organisiert wurde das Treffen vom Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), der knapp 1500 Unternehmen vor allem aus der Wasser-, Energie- und Abfallwirtschaft vertritt.

Die BSR begreift sich dabei als Vorreiter. Bei der letzten Einstellungsrunde im November konnten 15 der 50 ausgeschriebenen Stellen, für die es fast 1300 Bewerbungen gab, mit Frauen besetzt werden. Früher waren dies insgesamt nur zwei. Im Straßenreinigungsdienst, der mit weniger körperlicher Belastung verbunden ist, arbeiten bereits 300 Frauen - von insgesamt 1700 Beschäftigten.

Müllwerker ist eine Anlerntätigkeit, die überdurchschnittliche Fitness erfordert. Für viele der Frauen, mit denen man am Donnerstag bei der BSR sprechen konnte, war diese Berufswahl dennoch eine bewusste Entscheidung. Marion S. aus Münster hatte zuvor fast 20 Jahre als Fachkraft im Hotel- und Gaststättengewerbe gearbeitet, eine Berufskollegin aus Böblingen als Einzelhandelskauffrau. Als Müllwerkerin mache man etwas »Nützliches für die Gesellschaft, ist viel an der frischen Luft, arbeitet immer im Team, und Arbeitsbedingungen sowie die Bezahlung sind auch in Ordnung« , so S.

Als berufliche Sackgasse sehen die Frauen ihren Arbeitsplatz nicht. Es gebe Möglichkeiten der Weiterqualifizierung und Fortbildung z.B. zum Berufskraftfahrer oder Zertifikate für den Umgang mit besonderen Schadstoffen, berichtet die Böblinger Kollegin. Betriebsintern gebe es ferner Aufstiegsmöglichkeiten zum Touren- und Schichtleiter. Möglich ist ferner eine duale Ausbildung zur Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft.

Viele der Müllwerkerinnen auf dem Treffen streben zunächst den Führerschein und die spezielle Fortbildung für die Bedienung der Müllfahrzeuge an, was von den kommunalen Abfallentsorgern in der Regel auch gefördert wird, wie eine VKU-Sprecherin auf Nachfrage betonte. Weitergehende Pläne haben die meisten bislang allerdings nicht. »Ich will erst mal sehen, wie das alles so läuft«, so eine Kollegin.

Und die Reaktion der Männer? Von den Kollegen sei man sehr gut aufgenommen worden, berichten übereinstimmend Berliner Müllwerkerinnen. Blöde Sprüche höre man eher von Passanten. Ob man sich trotzdem als »Exotin« fühlt? »Nö. Ich mache meinen Job genauso wie die Männer auf der Tour, da spielt das für mich persönlich gar keine Rolle mehr.«

Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (SPD) ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, vor surrenden Kameras im leuchtend-orangen BSR-Overall auf dem Betriebshof einem Müllwagen zu entsteigen, in dem sie zwei (männliche) Müllwerker auf einer Tour begleitet hatte. Nach ein wenig Small Talk mit den Netzwerkerinnen und unzähligen Selfies bezeugte die Ministerin allen, die diesen »sehr harten Beruf ausüben, meinen größten Respekt«. Die gezielte und erfolgreiche Werbung für diese Tätigkeit auch unter Frauen sei »ein Meilenstein für eine klischeefreie Berufswahl«. Denn Frauen könnten schließlich alles, und die Politik müsse dafür sorgen, »dass sie auch wirklich alles machen können«, so Giffey unter Anspielung auf die Weigerung vieler großer Unternehmen, Führungspositionen und Aufsichtsräte in adäquater Weise mit Frauen zu besetzen.

Auch in dieser Frage müssen sich viele Unternehmen der Kommunalwirtschaft keineswegs verstecken. So wird in den Führungsetagen der BSR noch in diesem Jahr ein Frauenanteil von 40 Prozent erreicht werden. Diese Quote ist auch die mittelfristige Zielmarke für die bislang männerdominierte Straßenreinigung. Bei der Müllentsorgung wird das wohl noch ein Weilchen dauern.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.