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Bilder des kulturellen Kahlschlags

Eine Zwischenbilanz im Museum für Islamische Kunst: Was von der Kulturlandschaft Syriens übrig blieb

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Welch ein Kulturland, dieses Syrien, in seiner heutigen, spätkolonialistisch fixierten Ausdehnung begrenzt im Uhrzeigersinn von der Türkei, dem riesigen Irak, Jordanien und ein bisschen Israel, im Südwesten noch mit einer Einschnürung, die Libanon heißt, durchflossen vom mächtigen Euphrat und mit einem Stück Mittelmeerküste. Und faszinierenden Resten bronzezeitlicher Stadtstaaten und militanter Kleinreiche: Ugarit, Ebla, Mari, deren Geschichte und einstige Bedeutung sich durch ausgegrabene Kultgegenstände und Keilschriftarchive nur bruchstückhaft erschließt. Ein Kulturland nicht zuletzt mit Städten, die seit 6000 Jahren durchgängig bewohnt sind und zu den ältesten der Welt gehören: Damaskus, Aleppo und, heute zwar im Libanon gelegen, Byblos. Syrien, eine Region, die oft heiß umkämpft war, romanisiert wurde und vier römische Kaiser stellte, die von den Kreuzfahrern christlich geprägt, später islamisch erobert wurde.

Wer die Syrische Arabische Republik noch vor einem Jahrzehnt bereist hat, kehrte mit unvergesslichen Eindrücken aus diesem kulturellen Ballungsraum zurück. Niemand hätte gedacht, dass sich nach dem Machtantritt eines weiteren, jüngeren Diktators Gravierendes ändern würde. Dann begann sich eine Opposition, enttäuscht in ihren Hoffnungen auf Demokratisierung, aufzulehnen. Auch die Terror-Miliz des IS klinkte sich ein, und so tobt seit 2011 ein unübersichtlicher, auch international angeheizter Krieg - mit grausamen Folgen für die Menschen und das kulturelle Erbe. Einzigartige Schätze gingen verloren, im Kampf wie bei Sprengungen durch IS-Fanatiker. Von Wiederaufbau einiger antiker Monumente in den Zustand, wie ihn einzig die Zeit verantwortet hat, ist zaghaft die Rede, und dazu braucht es Anschauungsmaterial.

Hier setzt die Arbeit des »Syrian Heritage Archive Project« ein. Seit 2013 trägt es Berichte, Fotos, Pläne, Karten von Reisenden und Forschern in einem digitalen Archiv zusammen, das der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen und Anhaltspunkte beim späteren Wiederaufbau liefern soll. Mehrere Hunderttausend solcher digitalisierter Archivalien umfasst es derzeit und präsentiert nun einige von ihnen mit einer ersten Schau im Berliner Museum für Islamische Kunst, das zugleich Kooperationspartner des Deutschen Archäologischen Instituts beim »Syrien Heritage Archive Project« ist. Gefördert wird das Projekt vom Auswärtigen Amt und der Gerda Henkel Stiftung.

Objekte, Filme, Fotos und interaktive Bildschirme laden die Besucher zu einer virtuellen Erkundungsreise durch ein Land ein, dessen kulturelle Werte und damit seine Identität bedroht sind. An fünf als Halbrund gestalteten Stationen erfährt man exemplarisch, wie es um historisch bedeutsame Orte bestellt ist. Innen zeigt eine flächenfüllende Schwarz-Weiß-Aufnahme den Zustand, außen stehen sich Fotos von vor der Zerstörung und danach gegenüber. Bilder des kulturellen Kahlschlags sind das häufig. Von Zerstörung weitgehend verschont blieb, im Gegensatz zum Umland, die Altstadt von Damaskus mit ihrer berühmten Umaiyaden-Moschee, der Zitadelle, dem Kloster Suleimaniya, das auf den genialen osmanischen Baumeister Sinan zurückgeht.

Je ein historisches Relikt steht auf den Stationen für die einstige Pracht des Ortes. Ist die mittelalterliche Kreuzritterburg Krak des Chevaliers inzwischen wieder hergestellt, hat es die östlich gelegene, als Warenumschlagplatz reich gewordene Wüstenstadt Palmyra ärger getroffen, wie das Panorama von Säulenstraße und Burgberg zeigt. Römische Eroberer-Architektur trifft hier auf einen riesigen, gut erhaltenen Baal-Tempel. Dem IS-Terror fiel dessen Cella ebenso zum Opfer wie der Bogen des Hadrians-Tors auf der Säulenstraße und ein Großteil der mehrgeschossigen Turmgräber. Nur wenig besser erging es Raqqa, einem alten Handelszentrum am Euphrat, das um 800 unter Kalif Harun ar-Rashid zum prachtvollen Verwaltungszentrum mit Palastareal und Moscheen avanciert war. Als ein Hauptstandort des IS wurde das moderne Stadtzentrum 2017 durch Bomben zerstört. Objekte aus dem Museum sind verschwunden, werden auf dem Kunstmarkt vermutet und fieberhaft gesucht.

Wo in Nordsyrien seit dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert eine griechisch sprechende Oberschicht wirkte, brach durch die Eroberungen der Perser und der Moslems eine blühende Wirtschaft zusammen und hinterließ ab dem siebten Jahrhundert die »Toten Städte«, mehrere Hundert an der Zahl, zumeist dorfähnlich klein, mit dem Simeonskloster als Pilgerort bis heute. In diesen verlassenen Städten fielen die Plünderungen besonders stark aus. Am heftigsten haben die Zerstörungen jedoch Aleppo getroffen, Syriens zweitgrößte Metropole. So blieb vom Minarett der um 715 erbauten Umaiyaden-Moschee nur noch ein Steinhaufen. Himmelwärts offen liegt auch das ehemalige Haus eines Kaufmanns, das als Museum diente. Abgebrannt ist ein Teil des Großen Basars, eine Ruine voller Schutt eine byzantinische Kathedrale; von der ältesten osmanischen Moschee blieb nach der Explosion nur ein Krater. Wie lange die Aufbauarbeiten hier dauern werden, ist kaum auszudenken.

»Kulturlandschaft Syrien. Bewahren und Archivieren in Zeiten des Krieges«, bis 26.5., Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum, Bodestraße 1-3, Berlin

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