Wissenschaft unterstützt Schülerprotest

Warnung vor irreversibler Schädigung der Umwelt und Appell für eine Transformation weg von fossilen Energien

  • Verena Kern
  • Lesedauer: 4 Min.

»Schulranzen verändern die Welt, nicht Aktenkoffer«, verkündete FDP-Chef Christian Lindner im Bundestagswahlkampf 2017 auf einem Wahlplakat. Bei der wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern, die seit inzwischen drei Monaten jeden Freitag für mehr Klimaschutz demonstrieren, statt in die Schule zu gehen, will Lindner von seinem damaligen Slogan nichts mehr wissen. »Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen«, watschte er die Bewegung »Fridays for Future« am Wochenende via Twitter ab und stellte damit die Kompetenz junger Menschen infrage, sich zu Klimawandel und Klimapolitik zu äußern. »Das ist eine Sache für Profis«, so Lindner.

Doch die Profis haben sich längst auf die Seite der Schülerinnen und Schüler gestellt. »Sehr berechtigt« und »gut begründet« seien die Anliegen der demonstrierenden jungen Menschen, erklären nun mehrere Hundert deutsche, österreichische und schweizerische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Fachbereichen, vom Klimaforscher bis zur Ökonomin. In einer gemeinsamen Stellungnahme solidarisiert sich ihre Initiative »Scientists4Future« ausdrücklich mit der Klimastreikbewegung und betont: Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz »reichen bei weitem nicht aus«. Ohne »tiefgreifenden konsequenten Wandel« sei die Zukunft der jungen Menschen in Gefahr. Diese forderten deshalb »zu Recht«, dass sich »unsere Gesellschaft ohne weiteres Zögern auf Nachhaltigkeit ausrichtet«.

Aus den gut 700 Erstunterzeichnern, mit denen die Initiative letzte Woche startete, sind mittlerweile schon mehr als 12 000 Unterstützer geworden - deutlich mehr, als die Initiatoren selbst erwartet hatten. Bei den internationalen Schülerstreiks am kommenden Freitag, die nach derzeitigem Stand in 50 Ländern und in Deutschland in 170 Orten stattfinden werden, soll die Unterschriftenliste von Mitorganisator Eckart von Hirschhausen symbolisch an »Fridays for Future« übergeben werden.

Von den Schülerinnen und Schülern zu verlangen, dass sie nicht in der Schulzeit, sondern in ihrer Freizeit streiken sollen, sei »absurd«, sagte von Hirschhausen, als er gemeinsam mit anderen Organisatoren am Dienstag die Initiative in Berlin vorstellte. »Piloten und Lokführer streiken ja auch nicht in ihrer Freizeit.« Unter anderem hatte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) erklärt, sie begrüße zwar das Engagement für den Klimaschutz, die Schulpflicht aber gehe vor.

Wie dringlich ambitionierterer Klimaschutz ist, hätten viele noch nicht begriffen, sagte Maja Göpel vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Die Veränderung der Umwelt, die der Mensch derzeit vornimmt, sei irreversibel. Wenn Ökosysteme erst einmal gekippt seien, könne dies nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das müsse man sich klarmachen und eben deshalb schnell umsteuern. Dass die Politik vor weitreichenden Maßnahmen zurückschreckt, sei unverständlich. Schließlich werde etwa die Digitalisierung als Fortschritt aufgefasst und einfach hingenommen - dabei gehe sie auch mit tiefgreifenden Umwälzungen und hohen Jobverlusten einher. »Warum können wir mit demselben Elan nicht auch die ökologische Transformation anpacken?«, fragte Göpel und forderte eine Diskussion darüber, welchen Zielen künftiges Wirtschaftswachstum dienen soll.

Die notwendige Transformation weg von fossilen Energien sei auch technisch machbar und ökonomisch sinnvoll, betonte Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Schon bis 2040 könne und solle Deutschland klimaneutral sein. 100 Prozent Erneuerbare seien in Kombination mit Speichern möglich und auch finanzierbar. Keine Partei im Bundestag, nicht einmal Grüne und LINKE, vertrete bislang ein Programm, das weit genug gehe, kritisierte Quaschning. Der Schulstreik sei ein Impuls, ein Anstoß, dass jetzt etwas passieren muss und kann. »Wir müssen den Schülerinnen und Schülern dankbar sein.«

Dass die Verantwortlichen in der Politik das auch so sehen, zeichnet sich bislang nicht ab. »Wir streiken seit drei Monaten und haben viel Aufmerksamkeit bekommen«, sagte Luise Neubauer von »Fridays for Future«. Klimapolitisch habe sich aber noch nichts geändert. Deshalb werde der Schulstreik weitergehen. Man werde erst damit aufhören, wenn die Politik einen glaubwürdigen Plan vorlegt, wie die Klimakrise abgewendet werden kann - und wenn genug Handlungswillen zu erkennen ist.

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