- Politik
- Marielle Franco
»Marielle Anwesend!«
In Brasilien gab es Proteste zum Gedenken der am 14. März 2018 ermordeten linken PSOL-Stadträtin Franco
»Marielle!«, ruft eine junge Frau von der Bühne. Laut schallt es vom Publikum zurück: »Presente!« (»Anwesend«). Dann: »Anderson!« - und die einstimmige Antwort der Menschenmenge, während sie ihre Fäuste in die Luft heben: »Presente!«. Dicke Regentropfen fallen an diesem Abend vom Himmel. Neben Fahnen und Plakaten bedeckt ein buntes Meer an Regenschirmen den Oswaldo-Cruz-Platz im Zentrum São Paulos. »An dem Tag, an dem Marielle starb, regnete es auch«, sagt die Frau auf der Bühne laut ins Mikrofon. Sie meint damit den 14. März 2018. Die Veranstaltung in São Paulo, wie auch Dutzende weitere in Brasilien, finden zum Todestag und zu Ehren Marielle Francos statt.
»Schwarz, lesbisch, selbstbewusst«, so wird sie in Medien beschrieben. Franco ist zum Symbol für den Kampf um Menschenrechte in Brasilien und weltweit geworden. Als Stadträtin der Linkspartei Sozialismus und Freiheit (PSOL) setzte sie sich für Frauen, die LGBTI-Community und gegen die illegalen Polizeimilizen in Favelas ein und machte sich damit viele Feinde in rechten Kreisen.
Weil sich diese Kreise von ihr bedroht sahen, musste Franco offenbar sterben. Nach einer politischen Veranstaltung im Zentrum Rios wurden sie und ihr Fahrer Anderson Gomes in einen Hinterhalt gelockt und im Auto erschossen. Mit der darauf folgenden Welle der Empörung hatten die Täter wohl nicht gerechnet. Medien berichteten weltweit über den Fall, international wurden Demonstrationen in Francos Namen veranstaltet. »Marielle Presente« wurde zum Schlagwort der brasilianischen Linken, NGOs wie Amnesty International fordern eine lückenlose Aufklärung des Falls.
Es dauerte dennoch fast ein Jahr, bis es schließlich zur Festnahme zweier verdächtiger Ex-Militärpolizisten kam: Ronnie Lessa (48), der die Schüsse abgefeuert und Élcio Vieira da Queiroz (46), der das Tatfahrzeug gefahren haben soll. Doch das reicht Mônica Benício nicht als Aufklärung. »Die dringendste Frage, die zu beantworten ist, ist wer den Auftrag gab und was das Motiv war«, sagt die Witwe Marielle Francos.
Und mit der Forderung steht sie nicht allein. Die Festnahmen führten zu Erkenntnissen, die Aufsehen erregten und den rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro sowie seine Familie in keinem guten Licht dastehen lassen. So wohnte Ronnie Lessa in Rio de Janeiro nicht nur in der gleichen Wohnanlage wie Bolsonaro, auch sollen Lessas Tochter und ein Bolsonaro-Sohn liiert gewesen sein. Hinzu kommt, dass Vieira de Queiroz auf einem Foto Arm in Arm mit dem Präsidenten zu sehen ist.
Schon im Januar gab es Hinweise für eine Verwicklung Flávio Bolsonaros in Milizenkreise: Der Sohn des Präsidenten und Mitglied des Senats in Rio de Janeiro hatte die Mutter sowie die Ehefrau eines Milizenführers bei sich beschäftigt, der verdächtigt wird, den Mord an Franco mitgeplant zu haben.
Kein Geheimnis ist es, dass der Bolsonaro-Clan Polizeimilizen gegenüber aufgeschlossen ist. So erklärte der Präsident, dass die Milizen - die von Favelabewohner*innen auch gerne mal Schutzgeld erpressen - »für Sicherheit, Ordnung und Disziplin sorgen« und dass »die Regierung sie unterstützen« sollte.
Auffällig war indes die Wortkargheit der Familie Bolsonaro zum Fall Franco. Als Franco und Gomes ermordet wurden, hatte Jair Bolsonaro als einziger damaliger Präsidentschaftskandidat nichts übrig für Mitleidsbekundungen. Stattdessen bezeichnete er den Mord später als »gewöhnliches Verbrechen wie jedes andere«. Als zwei Mitglieder seiner Sozialliberalen Partei (PSL) ein Straßenschild mit Marielle Francos Namen zerbrechen, befand Flávio Bolsonaro, dass sie damit die »Ordnung wiederherstellen«.
Und die vielen Zusammenhänge zwischen der Präsidentenfamilie und den Milizen? Das seien natürlich alles Zufälle, erklärt Jair Bolsonaro. Und überhaupt handele es sich um eine verleumderische Fake-News-Kampagne gegen seine Familie, ausgehend von bösen Journalist*innen, die das Ziel hätten, »die Regierung zu stürzen«.
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