»Ich liebe Coca-Cola«

Dirk von Lowtzow schreibt jetzt nicht mehr nur Lyrik, sondern auch Prosa, die niemand braucht

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Als »Intellektueller« gilt man ja erfahrungsgemäß schnell in Deutschland. Manchmal reicht es schon, wenn man zum richtigen Zeitpunkt bereitwillig seinen Kopf in eine Kamera hält und wahlweise etwas Kryptisches, etwas Banales oder etwas Bedeutungsschwangeres hineinraunt. Wenn einer dann noch durchblicken lässt, dass er schon einmal ein Rilke-Gedicht gelesen und auch sonst in seinem Leben nicht zu viel nachgedacht hat, und obendrein fehlerfrei Wörter wie »Meinungskorridor« oder »geöffnetes Zeitfenster« aufsagen kann, steht schnell jemand vom Fernsehen, vom Goethe-Institut oder von der Bundeskulturstiftung bei ihm vor der Tür.

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Dirk von Lowtzow: Aus dem Dachsbau.
Kiepenheuer & Witsch, 180 S., geb., 20 €.

Doch nicht nur Windmacher wie Richard David Precht, sondern zum Beispiel auch die Popband Tocotronic und deren Songschreiber und Sänger Dirk von Lowtzow wurden im Lauf der Jahre von den Feuilletons und dem Kulturbetrieb mehr und mehr zu Intellektuellen befördert, weil die epigonal-neoromantische Nebel-, Wolken-, Wind- und Abiturientenlyrik der Songtexte von vielen als kunstvoll »verrätselte« moderne Dichtkunst wahrgenommen wurde (»Niemand/ Wird dir folgen/ In den Wolken/ Mit dem Wind/ Du bist noch ein Kind«).

Mit Lowtzow, geboren 1971 im badischen Offenburg, dem die evangelisch-ostelbische Wochenzeitung »Die Zeit« neulich den Ehrentitel »Stichwortgeber für Lebensgefühlsdiskurse im deutschsprachigen Raum« verliehen hat und der schon lange die Pose des empfindsamen, waidwunden Dandys kultiviert, so meinte man, habe man eine Art wiedergeborenen Hugo von Hofmannsthal mit linker Szeneglaubwürdigkeit gefunden. Da ist es dann nicht mehr weit bis zum Buchvertrag, das weiß man.

Lowtzow hat also jetzt auch ein Buch geschrieben, dessen Titel logischerweise halb nach Kafka und halb nach abgedunkelter Dichterkate klingen muss: »Aus dem Dachsbau«. Darin erzählt er Autobiografisches, kleine Geschichten aus der Kindheit, der Zeit des Heranwachsens, der Studentenzeit. Viele der Prosaskizzen lesen sich, als seien sie beiläufig entstanden oder als habe da einer seine alten Tagebücher durchgeblättert und nachgeschaut, was davon noch halbwegs brauchbar sein könnte.

So berichtet der Autor beispielsweise, wie er im Sportunterricht gelitten hat: »Weinend stand ich alleine am Rand der Aschebahn. Der Abend kündigte sich an. Dann holten sie mich ab.« Auch war die Pubertät wohl insgesamt eine recht quälende Sache: »Ich bemerkte die Veränderungen, die in mir und meinem Körper vorgingen, ich wurde mir selbst fremd.« Schlimm! Der junge Lowtzow, so erfahren wir außerdem, hatte eine Vorliebe für mit Süßstoffen gesüßte Cola (»ich liebe Coca-Cola«) und für Horror- und Science-Fiction-Geschichten.

Später, als er studierte, hegte er kurzzeitig den Plan, Schauspieler zu werden. Interessant! Den Ruf der Kunst vernahm der holde Jüngling schon seit er denken kann. Auch eine Band, in der er musizierte, hatte er schon früh, der blutjunge Student, bereits vor der Gründung von Tocotronic, doch zu jener Zeit sind die »Auftrittsmöglichkeiten begrenzt. Wir spielen meist nur (…) bei Benefizkonzerten für den kurdischen Befreiungskampf im Autonomen Jugendzentrum Waldkirch.« Auch eine tolle Frau lernt Dirk irgendwann kennen, mit der er sich anfreundet: »Mitten im Publikum steht Cosima. Der Raum ist dunkel, ich halte meine Augen die meiste Zeit geschlossen, weil ich mich konzentrieren muss. Aber ich spüre ihre Anwesenheit.«

Sie merken schon: Man muss dieses Buch nicht zwingend gelesen haben. Auch wenn die »Stuttgarter Zeitung« da ganz anderer Meinung ist: »An Dirk von Lowtzows Texten kann man sehr schön zeigen, dass autobiografische Literatur zunächst vor allem eines ist, nämlich Literatur.« Oha! Und weiter: »So werden aus autobiografischen Anlässen Sprungschanzen, von denen das Schreiben abheben kann.«

Sprachlich ist das alles, wie man schon beim Aufschlagen des Buches vermutete, gewohnt prätentiös und aufgeblasen: Einen zerstochenen Fußball nennt der Verfasser »das erbärmlich erschlaffte Leder auf dem Rasen«. Er gefällt sich in der Rolle, die man bereits zur Genüge von ihm kennt, also der des empfindsamen Stenzes, der die schon tausendfach kopierte Kunstgewerbeprosa, die er produziert, für authentische Äußerungen seiner Künstlerseele zu halten scheint: »Jenseits der Bahntrasse biegen sich Pappeln im Wind. Ich nehme einen Schluck aus der Flasche und presse meine Wange an die kalte Glasscheibe. Durch die Prismen der Regentropfen betrachte ich die Landschaft. Die Stoppelfelder werden zu kinematischen Bildern.«

Und wenn er sagen will, dass er Fahrradfahrer nicht leiden kann, liest sich das bei Lowtzow wie folgt: »Ich wurde Opfer der zweiradversessenen Biomacht, dem sanften, aber perfiden Gesetz einer uncoolen Bewegung.« Puh. Lektüre dann schließlich auf Seite 40 abgebrochen.

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