Nur zur Einordnung

Wolffs Müllabfuhr: Wer berufsmäßig rechtes Denken normalisiert, steht irgendwann auf einer Geburtstagsfeier mit solchen Leuten zusammen, ohne sich zu schämen.

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Jan Fleischhauer (»Spiegel«), der lange bevor die AfD damit in die Parlamente stürmte, die Wahnvorstellung, Deutschland sei eine linksgrün dominierte Gesellschaft, zu Geld machte, hat mit einem Nazi dem gemeinsamen Freund Matthias Matussek zugeprostet. Hinterher wusste Fleischhauer natürlich nicht, was jeder, der Augen und Matusseks Facebook-Account gesehen hat, vorher hätte sagen können: »Einer der Eingeladenen ist als Aktivist der Identitären Bewegung bekannt, wie ich im Nachhinein erfahren habe. 2013 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu siebeneinhalb Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er einen linken Jugendlichen mit einem Totschläger traktiert hatte. Ich kannte den Mann nicht.«

Weil Relotius-Kollege Fleischhauer weiß, wie flexibel Wahrheit ist, nimmt er sicherheitshalber den naheliegenden Einwand ironisch vorweg: »Im Prinzip reicht es schon, dass man sitzen bleibt, wenn einer mit der falschen Gesinnung an den Tisch tritt. Der Umstand, dass man erst im Nachhinein belehrt wurde, mit wem man es zu tun hatte, ist dabei kein hinreichendes Entlastungsargument. Du hättest damit rechnen müssen, dass der Gastgeber zweifelhaften Umgang pflegt, heißt es dann.« Wer dieser Ausflucht folgt, nahm Opa auch damals ab, bei der SS nur die Gulaschkanone bedient zu haben.

Fleischhauer, der auch mal die »Junge Freiheit« retweetet, sobald sie - von der »Titanic« lancierte - in den braunen Kram passende Nachrichten verbreitet, ist einer dieser Rechten, die nicht so genannt werden wollen - und denen bei Nazis zuerst Linke einfallen, weswegen sein Manifest so beginnt: »Einmal war ich in London auf einer Party, wo auch Astrid Proll zu Gast war …, die zu den Mitbegründern der RAF gehörte ...« Wer das vorweisen kann, hat natürlich einen Nazi frei. »Fraternisiert man bereits mit Rechten, wenn man am Büfett steht, statt Reißaus zu nehmen?

Das ist ja der Vorwurf: Wer mit solchen Leuten auf einer Geburtstagsfeier zusammenstehe, normalisiere rechtes Denken und trage es damit in die bürgerliche Mitte.« Es ist umgekehrt: Wer berufsmäßig rechtes Denken normalisiert, steht irgendwann auf einer Geburtstagsfeier mit solchen Leuten zusammen. Und schämt sich keine Sekunde dafür: Die Öffentlichkeit »kann die Distanzierung verlangen, aber dann bewegt man sich nicht mehr in einer freiheitlichen Gesellschaft«, denn mit wem man feiert, ist nun mal privat. Und während Freund Matussek kein Nazi sein kann, sondern nur ein »Wirrkopf«, sind alle, die es bedenklich finden, wenn einer reuelos mit identitären Totschlägern feiert, dagegen unter anderem paranoide Inquisitoren (»Joseph-McCarthy-Wiedergänger«), Rassisten (»Segregation«) und die größten Schweine im ganzen Land (»Denunziationen«).

Die deutsche Gesellschaft hat nie aufgehört, mit Nazis zu feiern, war nie »entnazifiziert«, sondern ist geprägt von dem Versuch, sich aus der Verantwortung für das größte Menschheitsverbrechen zu lavieren, und Jan Fleischhauer ist einer der vulgärsten Anwender der dabei entstandenen Taktiken. Darum kann er auch mit Recht sagen: »Ich glaube, und sei es zu meinem eigenen Trost, dass die meisten Menschen in Deutschland darüber so denken wie ich.« Und kurz nach dieser Klage über die schreckliche »Kontaktschuld« sorglos einen augenzwinkernden Tweet zu Greta Thunbergs Nobelpreisnominierung absetzen: »Vergangenes Jahr war auch Donald Trump nominiert. Nur zur Einordnung.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -