Darf-Bedarf

Paula Irmschler über den Umgang mit Musik von Tätern

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor kurzem bekam ich eine Anfrage für ein Streitgespräch, dem ich beiwohnen sollte. Eine krasse Jungfeministin sollte gegen einen gediegenen Feuilletonisten in Position gebracht werden. Die fiese Spaßverderberin gegen den ruhigen Freiheitsliebenden, so was eben. Es ging darum, ob man die Musik von Michael Jackson und R. Kelly »noch hören darf«, und ich sollte natürlich sagen, dass man das nicht mehr darf. Bei beiden Künstlern handelt es sich um mutmaßliche Vergewaltiger, zumindest aber, und das auch erwiesenermaßen, um übergriffige Menschen gegenüber Kindern und/oder Frauen. Ich hatte leider keine Zeit; losgelassen hat mich das Thema und die Frage trotzdem nicht.

Jedes Mal, wenn herauskommt, dass ein Mann sexuellen Missbrauch verübt hat, lautet eine der ersten Fragen: Darf man noch die Kunst solcher Täter konsumieren? Darf man es? Darf man? Darf? Also machte ich den ultimativen Test. Ich schaute nach bei den gängigen Streamingdiensten. Da waren sie alle noch da: Regisseure, Produzenten, Musiker. Nichts indiziert oder so. Dann habe ich das Radio eingeschaltet. Den Fernseher. Auch da war alles noch in bester Ordnung. Nichts verboten. Auch das Abspielen im Freundeskreis, auf Partys, in Clubs, in Kinos, alles hat funktioniert. Niemand hat was dagegen. Man darf noch. Ein Glück!

Natürlich weiß ich, dass mit dieser Dürfen-Nummer gemeint ist, ob es noch moralisch vertretbar ist. Aber die Tatsache, dass über kurz oder lang die Kunst vieler Täter eh (wieder) ihren Weg in den Mainstream findet, könnte Antwort genug sein. Irgendwann heißt es dann eben »es war eine andere Zeit«, »er hatte eben Abgründe« oder »jetzt ist er tot und kann sich nicht mehr äußern«. Ob man nun für ein Nichtdürfen oder dagegen ist, ist eine Scheindiskussion - um Feministinnen, die über sexuelle Gewalt sprechen wollen, mal wieder Hysterie und Übermacht unterzujubeln, um allgemein über sich selbst zu sprechen, um sich von »so was« zu distanzieren.

Die Frage ist doch eher, ob man diese Kunst noch konsumieren will, und das wird jeder Mensch für sich individuell entscheiden. Das Problem ist die Heiligsprechung von Künstlern, dass also immer wieder so getan wird, als schwebten sie über den Dingen, als seien Sexualstraftaten ein unvermeidliches und faszinierendes Nebenprodukt von Genialität und als gäbe es keine talentierten Menschen, insbesondere auch Frauen - die in so geringer Zahl vertreten sind, weil ihnen mächtige Männer unter anderem mittels sexuellen Missbrauchs den Weg erschwert haben -, deren Kunst man konsumieren könnte. Stattdessen geht es um uns. Ob wir daraus einen Schaden haben. Ob wir nicht mehr dürfen. Ob wir enttäuscht von unserem Lieblingskünstler sind. Es geht selten um die Opfer und nie darum, wie Missbrauch verhindert werden und wie man betroffenen Menschen helfen kann. Ja, wir dürfen uns den ganzen Kram unserer Lieblingsmänner für immer reinziehen. Vielleicht finden wir dazwischen aber auch mal Zeit, an etwas anderes zu denken als an uns selbst.

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