• Politik
  • EU-Austritt Großbritanniens

Vier Millionen Briten gegen den Brexit

Hunderttausende fordern in London ein zweites Referendum / Online-Petition gegen den geplanten EU-Austritt

  • Lesedauer: 4 Min.

London. Die britische Hauptstadt in Blau-Gelb: Mehr als eine Million Menschen haben nach Veranstalterangaben am Samstag in London gegen den Brexit demonstriert. Die Organisatoren »People's Vote« fordern ein Referendum, bei dem die Bürger über den endgültigen Brexit-Deal abstimmen dürfen. Viele Teilnehmer hatten während des Marsches bei gutem Wetter blaugelbe Europa-Fahnen dabei und waren auch in diesen Farben gekleidet. Andere trugen britische Fahnen.

Die Veranstalter sprachen von einem der größten Protestmärsche in der Geschichte Großbritanniens, alle Erwartungen seien übertroffen worden. Die Polizei gab keine Schätzungen ab. Die Teilnehmer waren aus allen Teilen des Landes angereist, auch von abgelegenen Inseln.

Der Protestzug, an dem auch viele Familien teilnahmen, endete am Parlament. »Ich bin sieben Jahre alt und demonstriere für meine Zukunft«, stand auf dem Protestschild eines Kindes. Andere Plakate sprachen eine deutlichere Sprache, etwa: »Diese ganze Brexit-Scheiß-Show muss aufhören!«

Rücktrittsforderungen an May

Unterdessen fordern immer mehr Politiker den Rücktritt von Premierministerin Theresa May. Britische Medien sprechen von einer anstehenden Schicksalswoche für die britische Regierungschefin.

»Ich marschiere gemeinsam mit Menschen aus jedem Winkel unseres Landes«, teilte der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan im Kurznachrichtendienst Twitter mit. Er gehört der oppositionellen Labour-Partei an. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon und viele andere Politiker nahmen ebenfalls an der Veranstaltung teil.

Auch ein Rosenmontagswagen des Düsseldorfer Künstlers Jacques Tilly war bei der Demonstration zu sehen. Der Motivwagen zeigt May, die mit einer langen Lügennase die britische Wirtschaft aufspießt. »Es ist schön, dass die Düsseldorfer Rosenmontagswagen auch ein Stück Weltgeschichte kommentieren«, sagte Tilly der Deutschen Presse-Agentur.

Die Briten hatten im Juni 2016 mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Nach Angaben der britischen Wahlkommission wären für ein von einigen favorisiertes zweites Brexit-Referendum mindestens vier, eher sechs Monate an Vorbereitungen notwendig.

Unterdessen bewegte sich ein kleiner Protestzug von Brexit-Anhängern auf London zu. Auch der frühere Chef der EU-feindlichen Ukip-Partei, Nigel Farage, nahm teilweise daran teil. Insgesamt wollten die Brexit-Befürworter etwa zwei Wochen durch England marschieren.

Mehr als vier Millionen Menschen hingegen unterzeichneten bereits eine Online-Petition für den Verbleib Großbritanniens in der EU. Zeitweise war die Webseite wegen des Ansturms lahmgelegt. Das Parlament muss den Inhalt jeder Petition mit über 100.000 Unterzeichnern für eine Debatte berücksichtigen. Britische Medien berichteten, dass der Druck auf May im Brexit-Streit immer größer werde.

May will Abgeordnete nicht abstimmen lassen

Aber auch die Premierministerin übt erheblichen Druck auf die Abgeordneten aus. In einem Brief an die Parlamentarier schrieb sie, dass diese möglicherweise doch nicht zum dritten Mal über das mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen abstimmen könnten. Bei zwei früheren Abstimmungen war die Regierungschefin mit dem von ihr ausgehandelten Deal durchgefallen. Der dritte Anlauf ist eigentlich für nächste Woche geplant.

Sie würde den Deal nur dann wieder zur Abstimmung vorlegen, falls sich eine ausreichende Unterstützung abzeichne, stellte May klar. Ansonsten müsse Großbritannien in Brüssel um einen weiteren Aufschub bitten, was aber eine Teilnahme an der Europawahl bedeuten würde.

Die nordirische Partei DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung seit einer verpatzten Neuwahl angewiesen ist, hatte angedeutet, das Abkommen weiter nicht zu unterstützen.

Britische Medien stufen die Chancen auf Zustimmung zum Deal gering ein. Auch die EU-Staats- und Regierungschefs sehen offenbar schwarz. Parlamentspräsident John Bercow hatte bereits darauf hingewiesen, dass das Unterhaus kein drittes Mal über den denselben Deal - also eine Vorlage ohne Änderungen - abstimmen dürfe. Dies verstoße gegen eine 415 Jahre alte Regel, wonach eine Vorlage nicht beliebig oft zur Abstimmung gestellt werden dürfe.

Die EU und May hatten sich in der Nacht zum vergangenen Freitag auf eine Verschiebung des EU-Austritts bis mindestens zum 12. April geeinigt. Der Plan: Stimmt das Unterhaus dem Abkommen nächste Woche zu, soll der Austritt am 22. Mai geregelt über die Bühne gehen. Gelingt das nicht, erwartet die EU von London vor dem 12. April neue Vorschläge. Ursprünglich wollte Großbritannien die Europäische Union schon am 29. März verlassen. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -