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Schlaf, allerorten

Jan Mollenhauer beäugt das Straußenkissen für mobiles Powernapping

  • Jan Mollenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag ist es dann mal wieder so weit: Die Uhren werden um eine Stunde vorgestellt. Mal sehen, wie lange noch. In der EU will die Zeitumstellung ja irgendwie niemand mehr so richtig, wobei die politische Meinungsbildung bei diesem Thema so verwirrend scheint wie der Sachverhalt selbst.

Gewiss ist hingegen, dass sich nach dem nächtlichen Wechsel zur Sommerzeit viele reichlich derangiert fühlen. Zusammen mit dem Vollmond und Wetterumschwüngen gehört die Zeitumstellung zu den großen Schlafkillern. Und die Zahl der Schlafgestörten steigt in Deutschland seit Jahren. Das bezeugt alleine schon die Flut an Ratgebern, medialen Sprechstunden und wissenschaftlichen Untersuchungen, die dem Schlaf oder vielmehr seinem Ausbleiben gewidmet sind. Mit Begriffen wie »Schlafhygiene« werden wir davor gewarnt, unsere Handys oder Computer im Bett zu benutzen - und dass Spiegel nicht in die Nähe des Bettes gehörten, zählt mittlerweile wohl auch zum Allgemeinwissen.

Ich schlafe sehr gern - Sie vermutlich auch. Daher ist die wachsende Aufmerksamkeit für dieses Thema grundsätzlich zu begrüßen. Nun gibt es manche, die dahinter einen ähnlichen Trend sehen wie bei Bier, Burgern oder Kindern: dass nämlich das ganze Chichi um das Schlafen nur ablenke von tiefer liegenden Problemen und Dynamiken. Dass nun auch noch das Schlafen spezielle Expertise erfordern solle, gilt kritischen Geistern als Ausweis der sozialen Schere, als Statussymbolzwang im postmateriellen Abendrot des Kapitalismus - wie Craft-Beer, Boutiquenburger und Kinderyoga müsse man sich solche Sorgen leisten können. Wird nun auch noch die Nachtruhe stilistisch verfeinert und ökonomisiert?

Davon lassen wir uns nun nicht die gute Laune nehmen. Wer also diesen Sonntag wieder wie vom Lkw überfahren aufwacht oder im anstehenden Produktivitätswettbewerb mit den Robotern lästige natürliche Defizite überwinden will, blicke auf die Rettung, die aus den USA sich nähert. Dort wurde nun ein äußerst merkwürdiges Produkt entwickelt - ein Kissen nämlich, mit dem Schlaf schlicht überall möglich sein soll. Endlich gründlich »powernappen«, vielleicht schon auf dem Weg zur Arbeit!

Das Ding wirkt wie eine Art Skimaske mit Flauschaufsatz. Für die Hände gibt es über dem Kopf zwei seitliche Löcher. Es sieht ein bisschen so aus, als hätte Mr. Bean seinen Weihnachtstruthahn grau gepinselt, bevor er ihn als Kopfschmuck aufträgt: Mit dem sogenannten Ostrich Pillow (»Straußenkissen«) können wir endlich den Kopf in den sprichwörtlichen Sand stecken, wenn’s mal ungemütlich wird. Die prekären Beschäftigungen einfach wegschlafen und von unbefristeten Arbeitsverhältnissen und geruhsamen Nächten träumen. Angeblich genossen unsere Eltern jene noch, bevor man sich im Westen - wo bekanntlich die Sonne untergeht - so um 1979/1980 einmal mehr dazu entschloss, wie zu Kaisers oder Führers Zeiten im Sommer die Zeit gehörig umzustellen. Thatchers und Reagans Turbokapitalismus machten die Nacht zum Tag. Statt im Bett herumzufaulen, steigerten wenig Geförderte aber viel Geforderte das Bruttosozialprodukt durch Leiharbeit oder Flaschensammeln. Auf der Sonnenseite des Lebens - also an den Handelsplätzen in Hongkong, London oder New York - spekulierten Investmentbanken währenddessen mit genau dem Geld, das wir seitdem nicht mehr haben.

Diese betonharte soziale Schichtung lässt sich am besten vom Flugzeug aus beäugen. Das sprichwörtliche eine Prozent macht es sich in der Flughafenlounge gemütlich, bevor bei der Transatlantikreise im besseren Abteil die Betten ausgefahren werden. Weiter hinten oder unten in der Holzklasse rutschen derweil die Millennials erschöpft auf Kunstleder herum und versuchen, sich nicht die Knie am Vordersitz wund zu scheuern. Nun aber lösen sich diese Probleme in luftige Träume auf - während man sich das textile Ungetüm übers Gesicht zieht und alsbald dank der schweißtreibenden Hitze in dem stickigen Ding fieberhafte Halluzinationen vom sozialen Aufstieg hat. Der Trost: weiter unten, auf dem schönen Blauen Planeten, gibt’s noch ärmere Schweine. Und bevor die dran sind, lernen erst mal Strauße fliegen. Na dann: gute Nacht.

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