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Die Sammelwut wächst

Mietaktivisten in Berlin wollen mit Volksbegehren Immobilienkonzerne enteignen.

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Ansturm ist überwältigend. »Die Leute rennen uns die Bude ein«, sagt Michael Prütz. Was in diesen Wochen passiert, hat der altgediente Politaktivist, der immerhin schon seit 1968 in West-Berlin als Linker unterwegs ist, so wohl noch nie erlebt. Prütz ist einer der Initiatoren des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, das an diesem Samstag auf der Großdemonstration gegen die steigenden Mieten in der Hauptstadt mit einer Unterschriftensammlung beginnen soll. Das Ziel des Volksbegehrens: Private Wohnungsgesellschaften, die jeweils mehr als 3000 Wohnungen in der Hauptstadt besitzen, sollen nach Artikel 15 des Grundgesetzes enteignet und ihre Wohnungsbestände in Gemeineigentum überführt werden. Stichwort: Vergesellschaftung gegen Entschädigung. Angewendet wurde diese Möglichkeit nach Artikel 15 im Grundgesetzes allerdings noch nie.

Als sie anfingen, erinnert sich Prütz, haben sie noch gedacht, wie schwer es werden wird, dieses Thema politisch zu setzen. Nun hat die radikale Forderung nach einer Vergesellschaftung bereits weit über die Grenzen der Metropole Berlin hinaus eine Debatte ausgelöst - und dies, obwohl das Volksbegehren noch gar nicht begonnen hat. »Vorhin hatten wir eine Presseanfrage des japanischen Fernsehens, auch die Holländer haben schon angefragt«, erzählt Prütz dem »nd«. Im Berufsleben verkauft der Mittsechziger - Glatze und Brille - Versicherungen. Zurzeit dient sein Büro als ein Anlaufpunkt für das Volksbegehren und als Lager. Unter anderem Flyer und anderes Werbematerial sind dort gelagert. Die Initiative, in der sich 30 bis 40 zumeist normale Mieter engagieren, muss sich bestimmt noch weiter professionalisieren. Auch neue Räumlichkeiten werden derzeit gesucht. »Morgen kommen die Unterschriftenlisten«, sagt Prütz. Dann geht es richtig los. 25 000 Listen hat die Initiative geordert, auf jede Liste passen fünf Signaturen. Macht alles in allem 125 000 Unterschriften, die theoretisch gesammelt werden könnten. Um die erste Stufe für den Antrag eines Volksbegehrens in Berlin zu nehmen, braucht es 20 000 gültige Unterschriften. Prütz und seine Mitstreiter peilen aber an, 50 000 zu sammeln und dann abzugeben. Einfach, um ein klares Signal an die Politik zu senden. Seht her, wie viele Menschen uns unterstützen!

Dass die Initiative die erste direktdemokratische Hürde meistern wird, bezweifelt in Berlin angesichts der Dynamik, die das Volksbegehren derzeit entfaltet, fast keiner. Nicht auszuschließen, dass bereits an diesem Samstag auf der Demonstration genug Unterschriften für die erste Stufe zusammenkommen. Unterstützung bekommt die Initiative von der Linkspartei. Während sich Grüne und SPD noch nicht positionierten, haben sich die Sozialisten als bislang einzige Partei in das Enteignungs-Volksbegehren eingebracht. Die Linkspartei und ihre Mitglieder helfen nicht nur beim Sammeln, sondern sind auch in die Organisation involviert. »Die Stimmung ist: Wir müssen jetzt was machen, und es ist eine rote Linie überschritten worden«, sagt Sebastian Koch mit Blick auf die Mietsteigerungen in Berlin. Der Landesgeschäftsführer der Linkspartei berichtet von einem fast siebzigjährigen Parteimitglied, aber auch von vielen Jungen, die vor Kurzem zu einer Aktionsschulung in die Parteizentrale kamen, um sich für die Unterschriftensammlung fit zu machen. Auch argumentativ, denn das zählt auf der Straße. Für ihre Mitglieder hat die Partei ein paar »Praktische Infos« zusammengefasst. Dazu zählen auch Fragen, die oft von Bürgern zu dem geplanten Volksbegehren gestellt werden.

Erstaunlich ist demnach: Die geplante Enteignung an sich finden die Berliner gar nicht so fragwürdig. Die Kritik, die teilweise an die Geschichte der Bodenreform der SED oder die »Arisierungen« jüdischen Eigentums durch die Nazis anknüpft, scheint sie nicht so zu interessieren. Mehrere Meinungsumfragen haben gezeigt, dass es in Berlin eine Mehrheit für eine Enteignung von Wohnungsunternehmen gegen Entschädigung gibt. Besonders hoch ist Zustimmung zur Vergesellschaftung im - in Berlin starken - linken Milieu, aus dem die Wähler von SPD, Linkspartei und Grünen kommen.

Große Vorbehalte hegen die Menschen - das zeigt die Diskussion - offenbar wegen der hohen Kosten für die Entschädigungen, die sich aus dem Rückkauf von insgesamt 243 000 Wohnungen ergeben würden. Nach der jüngsten internen Testberechnung der Verwaltung der Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei), die dem »nd« vorliegt, würden bei einer Entschädigung zum Verkehrswert, abzüglich von 27 Prozent, immer noch 26,3 Milliarden Euro für die Wohnungen fällig werden. Zuvor hieß es, dass sogar bis zu 36 Milliarden Euro bezahlt werden müssten.

Deutschlandweite Mietenwahnsinn-Demos am 6. April

Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« rechnet dagegen mit Entschädigungskosten von »nur« sieben bis 18,1 Milliarden Euro. Dabei gehen die Initiative und wie auch der Senat davon aus, was inzwischen auch ein juristisches Gutachten belegt, dass die Sozialisierung deutlich unter dem Verkehrswert der Wohnungen erfolgen könnte. Laut Initiatoren des Volksbegehrens könnten die Kosten für die Rekommunalisierung der Wohnungen über einen Tilgungszeitraum von 45 Jahren aus den Mieteinnahmen einer zu gründenden Anstalt öffentlichen Rechts getragen werden. So weit die Perspektive der Mietaktivisten.

Aufseiten der Wohnungswirtschaft glaubt man indes nicht, dass eine Enteignung in Berlin juristisch möglich wäre. »Überall gilt: Erst wenn der Staat alle anderen zumutbaren Mittel ausgenutzt hat, dürfte er zum letzten Mittel der Enteignung greifen«, sagt David Eberhart. Er ist der Sprecher des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), in dem auch der börsennotierte Konzern Deutsche Wohnen Mitglied ist, der in der Hauptstadt rund 110 000 Wohnungen besitzt und durch sein Handeln in Berlin zum Namensgeber des Volksbegehrens avancierte. Der BBU hat jüngst ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Helge Sodan vorgelegt, der die Vergesellschaftung für verfassungswidrig erklärte. Mehrere andere juristische Expertisen, die im Auftrag des Senats erstellt wurden, kamen jedoch zu dem Schluss, dass eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes nicht nur rechtlich zulässig ist, sondern die festzulegende Entschädigung den Verkehrswert der Wohnungen deutlich unterschreiten könne. So oder so dürfte es im Enteignungsfall zu langwierigen Gerichtsprozessen kommen. »Es wäre davon auszugehen, dass die Unternehmen bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen«, sagt BBU-Sprecher David Eberhart.

Nicht weniger wichtig als die juristische Ebene dürfte indes die politische sein: Je mehr Menschen unterschreiben, desto größer wird der Druck. Das Thema Vergesellschaftung könnte - unter den Augen der Welt - weiter an Fahrt aufnehmen. Am Ende könnte eine berlinweite Abstimmung darüber stehen.

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