Kein Islamunterricht in Sachsen-Anhalt

Landesregierung schreckt von eigenem Versprechen zurück und macht neue Zusage für den Ethikunterricht

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Für die rund 2000 muslimischen Schüler in Sachsen-Anhalt wird es auch in Zukunft keinen eigenen Religionsunterricht geben. Darauf einigte sich jetzt die Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Statt in einem eigenen bekenntnisorientierten Unterricht, wie er für Katholiken und Protestanten längst selbstverständlich ist, soll der Islam nun lediglich im Rahmen des bestehenden Ethikunterrichts eine größere Rolle spielen. Das zusätzliche «Islam-Modul» wird allerdings nur an einigen wenigen Schulen in Halle und Magdeburg mit höherem muslimischen Bevölkerungsanteil eingeführt werden. «Wir werden den Ethikunterricht qualifizieren und an Schwerpunktschulen den Ethikunterricht nutzen, um den Islam neben allen anderen Weltreligionen verstärkt im Unterricht zum Thema zu machen», sagte Bildungsminister Marco Tullner (CDU) gegenüber der «Mitteldeutschen Zeitung».

Damit bricht die Koalition ihr Versprechen, das sie den rund 20 000 in Sachsen-Anhalt lebenden Muslimen bei Verabschiedung ihres Koalitionsvertrages gegeben hatte. CDU, SPD und Grüne hatten dort das Ziel festgeschrieben, ein Angebot zu schaffen, das an den katholischen und evangelischen Religionsunterricht angelehnt ist. «Die Koalitionspartner stimmen darüber überein, dass sie ein dem konfessionellen Unterricht vergleichbares Unterrichtsangebot» einführen wollen«. Darauf, dass ein solcher bekenntnisorientierter Unterricht auch im Grundgesetz vorgesehen ist, hatte unter anderem die Integrationsbeauftragte Sachsen-Anhalts, Susi Möbbeck (SPD), hingewiesen und sich für ein Angebot in Kooperation mit islamischen Organisationen ausgesprochen. Auch die Grünen hatten das Projekt ursprünglich unterstützt. Doch durchgesetzt hat sich nun Bildungsminister Marco Tullner.

Dieser hatte sich zwar noch im Januar mit Vertretern muslimischer Gemeinden getroffen, um das Thema zu diskutieren, sich anschließend aber gegen den Islamunterricht ausgesprochen. Zur Begründung verwies er darauf, dass ein Angebot schon deshalb nicht möglich sei, weil es keinen zentralen islamischen Ansprechpartner gebe. Ein Aussage, die Vertreter muslimischer Gemeinden in Sachsen Anhalt als auch der Zentralrat der Muslime zurückwiesen.

Dass ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht auch für Religionen möglich ist, die nicht wie die beiden großen christlichen Kirchen zentral organisiert sind, zeigt auch der Blick auf andere Bundesländer. In Hessen sorgen beispielsweise der Dachverband türkischer Moscheevereine Ditib und die Ahmadiyya-Gemeinde für zwei getrennte Angebote. In Niedersachsen haben sich eigens zum Zweck der Unterrichtsvermittlung über 100 muslimische Organisationen in der »Schura Niedersachsen« zusammengeschlossen. Länder wie Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erproben mit verschiedenen Beiratsmodellen Formen der Kooperation mit muslimischen Gemeinden.

Auch das Argument, wonach es in Sachsen-Anhalt aufgrund der geringen Anzahl an Muslimen kein Interesse an einem bekenntnisorientierten Unterricht für Muslime gebe, wie es auch die AfD-Fraktion im Mageburger Landtag geltend macht, lässt sich mit Blick auf bereits bestehende außerschulische Formen des »Islamunterrichts« entkräften: Den Koranunterricht in der islamischen Gemeinde Merseburg besuchen derzeit rund 100 Kinder. Das ehrenamtliche Angebot der islamischen Gemeinde Halle-Neustadt nehmen sogar bis zu 300 Kinder wahr.

Zumindest im Osten ist Sachsen-Anhalt mit seinem fehlenden Islamunterricht allerdings nicht allein. Auch in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen warten muslimische Schülerinnen und Schüler weiter vergebens auf einen eigenen Religionsunterricht.

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