Achtung, Achtung! Dies ist keine Alibi-Veranstaltung!

Endlich mal mitreden und Gehör finden: Der «Demokratiekonvent» ist eine Politiksimulation, die niemandem wehtut

  • Adrian Schulz
  • Lesedauer: 7 Min.

Gesunder Menschenverstand« steht auf der Folie, die die Gruppe »Plattform« präsentiert. In der Tat, sagt der ältere Herr, der für sie spricht: Daran fehle es oft in der Politik. Weitere Punkte sind: »Austausch auf Augenhöhe«, »Transparenz«, »größere Akzeptanz politischer Entscheidungen«.

Das sei alles sehr »spannend«, antwortet der Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker von der CDU: »Demokratie«, »Paulskirche«. Man wolle nicht nur »Schulterklopfen« betreiben, sondern »dranbleiben«. Es solle nicht »versanden«. Dies sei alles andere als eine »Alibi-Veranstaltung«, und es fehle nur noch ein großer Mann mit Megafon, der ruft: »Achtung, Achtung! Dies ist keine Alibi-Veranstaltung! Bitte bewahren Sie Ruhe! Dies ist keine Alibi-Veranstaltung«, dann glaube man ihm. Überhaupt, Glauben. »Was bleibt uns sonst übrig?«, fragt eine Frau von der Gruppe »Rollendes Wohnzimmer« und lacht.

Der »Demokratiekonvent«

Beim ersten »Demokratiekonvent«, der Mitte Februar in Frankfurt am Main stattfand, diskutierten drei Tage lang 50 zufällig ausgesuchte Bürger*innen miteinander. Organisiert hatte die Veranstaltung der von Studierenden gegründete Verein »mehr als wählen e. V.«, um Demokratie und Bürger »näher zusammenzubringen«.

Die Ergebnisse werden nun nach und nach den Fraktionen im Frankfurter Stadtparlament vorgestellt. Am 24. Mai sollen die Ergebnisse offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Was in Zeiten von AfD und Co. als hehres Anliegen begonnen hat, zeigt sich in der Praxis allerdings als belanglos – und ist ein Lehrstück für Politik, die garantiert niemandem wehtut.

Reden ist in, ob nun mit Rechten oder bei den grands débats mit Präsident Macron in Frankreich. Es wird immer nicht genug und muss immer noch mehr geredet werden. Wenn es mal nicht gut läuft im Spätkapitalismus, und so scheint es aktuell, gibt es ein ganzes Arsenal öffentlicher Sprech- und Supersprechforen zum Wiedergutwerdenlassen: Meetings, Beratung, Talkshows, Therapie.

Drei Tage lang haben also auch 50 Frankfurterinnen und Frankfurter beim sogenannten Demokratiekonvent miteinander geredet. Üppig finanziert hat das die Hertie-Stiftung, die um die Jahrtausendwende einmal so viele Steuern hinterzogen hatte, dass der Staat fast eine Milliarde D-Mark von ihr zurückforderte. Heute gibt sie Geld für Unverdächtiges aus: Hirnforschung und Demokratieförderung. Davon profitiert auch die Initiative »mehr als wählen e. V.«, deren Mitglieder vornehmlich Studierende der Frankfurter Goethe-Universität sind, Politikwissenschaft, was auch sonst. Man kennt sich aus. Demokratie it is.

Diskutiert wurde also, leibhaftig, in Zeiten von Fake News und Filterblasen. Worüber? Nicht etwa über konkrete Themen, die die Stadt bewegen: Mieten, Autos, Fluglärm. Sondern - übers Diskutieren selbst. Sechs Modelle für bessere Bürgerbeteiligung haben die repräsentativen Zufallsmenschen erarbeitet. Die Modelle sehen etwa die Neugestaltung des Portals »Frankfurt fragt mich« vor, einen »Innovationsbeauftragten«, eine Plattform, auf der sich interessierte Frankfurter als Experten für bestimmte Themen anmelden können, die Vereinfachung von Bürgerentscheiden, ein »rollendes Wohnzimmer« zum (natürlich!) Diskutieren sowie die Verstetigung des »Demokratiekonvents«.

»Divers« seien die Gruppen gewesen, sagte Katharina Liesenberg von der Initiative »mehr als wählen e. V.« (»Initiative für innovative Demokratie«) vor einiger Zeit im Deutschlandfunk. Tatsächlich? »Die Alterskohorte der 50- bis 59-Jährigen war deutlich am stärksten vertreten«, erzählt eine Frau, die privat in der Verwaltung arbeitet und in der »Wohnzimmer«-Gruppe war. Etwa sieben Prozent der mit zufällig ausgewählten Datensätzen per Post Angeschriebenen hätten geantwortet, berichtet Clara Speer, die ebenfalls der Initiative »mehr als wählen« angehört: »Wir hätten mit weniger gerechnet.« Um nicht nur ohnehin interessierte Menschen zur Teilnahme zu bewegen, die genug Zeit, Mut und eine feste Adresse besitzen, hätten die Veranstalter ein Drittel außerdem gezielt über Organisationen eingeladen, die benachteiligte Gruppen vertreten. Welche genau das sind, will sie aber nicht sagen. Für größere Vielfalt gesorgt hat es jedenfalls kaum. Das gibt, anders als Liesenberg, auch Speer selbst zu: »Der Rücklauf war noch nicht so, wie wir uns das vorstellen.« »Das ist ja hier wie bei ›Schöner Wohnen‹«, meint der Begleiter einer anderen »Wohnzimmer«-Frau beim Stehempfang zynisch - wenig Menschen mit Migrationshintergrund seien anwesend. Und das in einer Stadt, in der jeder und jede Zweite einen hat.

Ein geschützter, vorpolitischer Raum solle das sein, dieses »rollende Wohnzimmer«, niedrigschwellig, offen, »wie eine Kneipe«, erklärt eine ihrer Mitstreiterinnen ein paar Stunden vorher. Wie schade, dass in der Stadt der Banker das Bier mittlerweile vier Euro kostet - sonst täte es vielleicht gar eine echte Kneipe? Je zwei oder drei Abgeordnete verschiedener Fraktionen des Stadtparlaments sollen Rückmeldung geben. »Politik ohne Parteien«: Das findet Markus Fuchs von der AfD gleich gut bzw. »sexy«. »Eigentlich war der ganz sympathisch, da bin ich schon durcheinandergeraten«, gesteht eine der Diskutantinnen später. Aber es gibt auch Zweifel: Ob man da dann wirklich städtische Gelder reinstecken müsse, fragt etwa Beatrix Baumann von den Grünen. Und wer denn schon mal in einer Ortsbeiratssitzung gewesen sei, will Michael zu Löwenstein (CDU) wissen. Ein Mann, eines der Gruppenmitglieder, meldet sich - er sei ein- oder zweimal dort gewesen, sagt er, habe sich aber nicht willkommen gefühlt. »Ihr«, sagt seine Kollegin, »Ihr sollt nicht erklären, sondern uns endlich mal zuhören!«

Auch in einem anderen Gespräch geht es um »Bürger« und »Politiker«, um »Wir« und »Ihr«: Politik als Kommunikationsproblem zweier verhexterweise füreinander taub gewordener Partner*innen in der Ehekrise, Rolf und Annika, Mars und Venus. Das kann man dann moderieren und prima in Stichpunkte fassen. Kontrovers wird es, sobald es nicht mehr nur um »generelle Sorgen« geht, sondern um Konkretes. »Neoliberal«, »Lernen von der Wirtschaft«, »abgehängte Stadtteile«, so streiten sich Dominike Pauli von der Linkspartei und ein mittelalter Mann, der sichtlich stolz aus jener »Wirtschaft« kommt.

Wenn sie unzufrieden sind mit »der« Politik, sich all die Jahre so wenig »gefragt« gefühlt haben und nun froh sind, »endlich« einmal »mitreden« zu dürfen, »Gehör« zu finden: Warum sind die Bürger*innen nicht selbst aktiv geworden? Warum haben sie ihre Beteiligung nicht auf die Straße getragen? »Ich würde gerne, aber ich habe Angst. Ständig werden Demonstranten eingekesselt«, gesteht eine ältere Frau mit getönten Sonnenbrillengläsern. Nur wenige Hundert Meter sind die Orte entfernt, an denen mit der gewaltsamen Niederschlagung der Blockupy-Proteste der Grundstein gelegt wurde für die systematische Etablierung autoritärer Polizeistrategien auch in Deutschland. Öffentlicher Raum wird beschnitten und privatisiert, Parkbänke werden abgeschraubt, Obdachlose vertrieben - da sind »die Bürger« froh um jeden Quadratmeter, auf dem sie noch etwas dürfen, was auch immer. »Das Problem ist nicht mehr, die Leute dazu zu bringen, sich auszudrücken, sondern ihnen Räume des Schweigens und der Stille zu bieten, von denen aus sie endlich etwas zu sagen hätten. Die Kräfte der Unterdrückung hindern die Leute nicht daran, sich auszudrücken, im Gegenteil, sie zwingen sie dazu«, schrieb der Philosoph Gilles Deleuze einmal.

Allzu früh in beherrschbare Bahnen lenkt hingegen diese von oben verordnete Beteiligung, was Uwe Becker und seinen Kollegen an autonomen Bewegungen wie dem Frankfurter Mietentscheid so große Angst macht. Und genauso beliebig wie das, was da eigentlich jetzt genau deliberiert und meta-deliberiert werden soll, ist dabei der Umgang mit Rechtsaußen. »Populismus« sei schließlich eine große Gefahr, sagt der Leiter der Evangelischen Akademie, in der der Konvent stattfindet, Thorsten Latzel, ein Pfarrer, beim Empfang. Und »so was wie hier« sei die stärkste Waffe dagegen. Und der Vereinsvorsitzende Dominik Herold erzählte noch im Februar der »Frankfurter Rundschau«, dass die Initiative »mehr als wählen« gegründet worden sei, um etwas gegen Trump, den Brexit und die AfD zu unternehmen. Das mag seine Kollegin Deborah Düring vor Ort auf Nachfrage nicht wiederholen. Was aber genau ist der Unterschied zwischen »Demokratie« und »Populismus«? Wo beginnt das eine, wo hört das andere auf? Ist »Populismus« rechts - oder auch links? Ist das beides gleich schlecht? Und ist mehr Bürgerbeteiligung automatisch gut, egal, was dabei herauskommt?

»Man sollte jetzt nicht den Rahmen sprengen und sagen: Hey, wir nehmen euch eure Entscheidungsfindung ab«, sagte Liesenberg, die nun für mehr »Bürger*innendialoge« auf Bundesebene lobbyiert, dem Deutschlandfunk. Davor hätten Politiker*innen nämlich Angst. Diese müssten deshalb gezeigt bekommen, »dass es ein cooles Format ist«. Und das ist dann der Rahmen, in dem sich Schwatzveranstaltungen wie der »Demokratiekonvent« bewegen: Es geht eben nicht um andere Entscheidungen, jedenfalls nicht um gänzlich andere - sondern um jene »größere Akzeptanz politischer Entscheidungen«, um die sich auch die Zufallsbürger so eifrig bemühen. Es klingt wie vorauseilender Gehorsam.

Was, wenn »die Bürger« gar nicht so einheitlich sind, wie auch sie selber es glauben - sondern arm und reich, dumm und klug, links und rechts? Was, wenn Demokratie gar nicht darin besteht, sich »einig« zu werden?

Eine Woche nach dem Konvent wurden die Gruppenarbeiten zu einer gemeinsamen »Handlungsempfehlung« verschriftlicht, die im Mai öffentlich vorgestellt werden und über die auch im Frankfurter Stadtparlament diskutiert werden soll. Etwas später sei außerdem eine Veranstaltung geplant, um zu überprüfen, wie viel davon tatsächlich in die Tat umgesetzt wurde, sagt Clara Speer. Das Mysterium Bürgerwillen, scheu, wie es ist: Wird es sich zeigen?

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