Münchner Mietverein klagt für 230 Wohnungen

Mit der Klage sollen drohende Mieterhöhungen durch Modernisierungen eingeschränkt werden

  • Britta Schultejans
  • Lesedauer: 3 Min.

München. »Das war ein Schock«, sagt Otto H. über den Moment am 27. Dezember 2018. Damals drückte ein Bote ihm einen Brief in die Hand. »Ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk«, sagt der 83-jährige Münchner und lacht bitter. Denn in dem Brief stand, dass das Ehepaar H. sich womöglich darauf einstellen muss, künftig fast doppelt so viel Miete für seine Schwabinger Wohnung zu bezahlen wie bisher. 1492 statt 763 Euro. »Dann müssten wir ausziehen - oder zur Tafel gehen. Das können wir uns mit unserer Rente nicht leisten.«

Seit 1984 leben Otto H. und seine Frau Karin (80) in ihrer rund 76 Quadratmeter großen Wohnung, viele Möbel haben sie extra dafür anfertigen lassen. Noch sehr viel länger– seit 1959 – wohnen sie in der Wohnanlage, dem sogenannten Hohenzollernkarree. In ihrem Teil von Schwabing sind sie verwurzelt. »Umziehen ist in unserem Alter eine Katastrophe. Woanders würden wir uns ja gar nicht mehr zurechtfinden.«

Der Münchner Mieterverein hat für das Ehepaar H. und Dutzende weitere Mieter aus der Anlage mit insgesamt 230 Wohnungen Klage beim Oberlandesgericht (OLG) München eingereicht. Es ist nach Angaben des Vereins deutschlandweit die erste Musterfeststellungsklage im Mietrecht - und damit ein Novum im Kampf gegen steigende Mieten.

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Grund für die heftige Mieterhöhung ist eine Modernisierung, die die Immobiliengesellschaft mit eben jenem Schock-Brief kurz vor Silvester 2018 angekündigt hatte. Nach Angaben des Mietervereins soll die aber erst in zwei Jahren umgesetzt werden.

Der Verein geht deswegen davon aus, dass das Unternehmen kurz vor Änderung der rechtlichen Situation zum 1. Januar 2019 »gerade noch altes Recht abgreifen« wollte, »bei dem anschließende Mieterhöhungen deutlich höher ausfallen dürfen«. So heißt es in einer Mitteilung des Mietervereins vom Mittwoch.

Denn seit Jahresbeginn darf nur noch ein geringerer Teil der Modernisierungskosten auf die Mieter umgelegt werden. »Der Abstand zwischen Ankündigung und Beginn der Maßnahme ist viel zu groß. Normalerweise liegen dazwischen drei Monate«, sagt der Geschäftsführer des Mietervereins, Volker Rastätter. Er ist überzeugt, dass für die Modernisierung des Hohenzollernkarrees neues Recht gelten muss. »Genau das soll in der Musterfeststellungsklage jetzt geklärt werden.«

Das Immobilienunternehmen sieht die Sache anders. Die ersten Renovierungsarbeiten sollen schon in diesem Jahr beginnen. Ende 2019 sollen Fundamente für neue Balkone gelegt werden. Zudem müsse dank einer Härtefallregelung kein Mieter fürchten, seine Wohnung zu verlieren.

»Der Vermieter sichert zu, die Kosten so umzulegen, dass kein Mieter seine Wohnung im Zuge steigender Mieten verlassen muss«, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. »Sollten die Mietkosten nach der Modernisierung mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens betragen, werden darüber hinausgehende Kosten – unabhängig von der gesetzlich möglichen Umlagefähigkeit – nicht umgelegt sondern vom Vermieter getragen.«

Die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage, bekannt auch in Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal, gibt es in Deutschland erst seit November 2018. Seither kann ein Verband stellvertretend für Verbraucher zum Beispiel gegen ein Unternehmen vor Gericht ziehen. Die Verbraucherklage soll es ihnen leichter machen, an Schadenersatz zu kommen, das Risiko übernimmt der klagende Verband.

Sollte die Klage Erfolg haben und neues Recht zur Anwendung kommen, wäre das eine Erhöhung, die das Ehepaar H. mit seiner Rente gerade so stemmen könnte, sagt Otto H. Das wären maximal 229,95 Euro im Monat mehr als jetzt, 500 Euro weniger als nach altem Recht möglich. Darum setzen die beiden all ihre Hoffnungen in die Klage. dpa/nd

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