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»Wir wurden gedemütigt«
Gorden Isler von der Rettungsorganisation Sea-Eye über eine neue Odyssee vor Malta
Die »Alan Kurdi« liegt derzeit vor Malta. Die EU-Staaten konnten sich bisher auf keine Verteilung der Geflüchteten einigen. Wie ist die Lage auf dem Rettungsschiff?
Wir mussten am Dienstag eine 24-jährige Frau nach Malta evakuieren lassen, da sie starke Schwindelgefühle hatte. 63 Gerettete sind weiterhin an Bord. Diese waren die vergangenen Tage starkem Wetter mit bis zu drei Meter hohen Wellen ausgesetzt. Rund ein Drittel der Geflüchteten ist dadurch seekrank, was kein Spaß ist. Die notwendigen Medikamente sind uns ausgegangen. Wir haben von Malta nun Nahrungs- und Wasserlieferungen angefordert, was für Mittwoch auch genehmigt und durchgeführt worden ist. Alles in allem deutet sich aber ein besorgniserregender Dauerzustand an.
Wie lief Ihre bisherige Kommunikation mit den EU-Staaten?
Wir hatten zuerst Kurs auf die italienische Insel Lampedusa genommen. Dort wurden wir dann gedemütigt. Rom verlangte von uns, Familien zu trennen. Man wollte uns in ein moralisches Dilemma manövrieren.
Was meinen Sie damit?
Wir haben zwei Familien mit Kindern an Bord. Das Auswärtige Amt teilte uns mit, dass diese nach Verhandlungen evakuiert werden würden. Italien hatte diese Vereinbarung dann jedoch einseitig umgedeutet. Plötzlich erklärte uns Rom per Mail, dass man nur noch die Kinder und ihre Mütter entgegennehmen würde. Wir haben dann natürlich beim Auswärtigen Amt protestiert. Für was sollte es gut sein, dass man diese Menschen nun auch noch emotional foltert, nach allem, was sie durchgemacht hatten?
Was antwortete das Auswärtige Amt?
Berlin erwiderte glaubwürdig, dass man mit Italien zuvor eine andere Abmachung getroffen habe. Das war demnach ein klarer politischer Demütigungsversuch von Rom. Der italienische Innenminister Matteo Salvini hat den Konflikt mit uns und auch mit Deutschland gesucht.
Wie haben Sie reagiert?
Es gab eine ausführliche Diskussion im Vorstand. Wir haben selbst Kinder und kamen zu dem Schluss, dass es nur die betroffenen Familien selbst entscheiden können - das beschriebene Dilemma. Die Familien haben aber letztlich gesagt, dass sie zusammenbleiben wollen.
Die Bewegung »Seebrücke« fordert, dass gerettete Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden sollen. Wäre das eine Lösung?
Absolut. Es geht um 63 Menschen. Gleichzeitig gibt es in Deutschland 47 Städte, die gerettete Flüchtlinge aufnehmen würden. Das wären nicht mal zwei Flüchtlinge pro Stadt. Die »Alan Kurdi« ist ein deutsches Schiff. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Innenminister Horst Seehofer öffentlich klar Haltung zeigt und der Aufnahme aller Geretteten zustimmt.
In den vergangenen Monaten wurden Rettungsschiffe zum Teil wochenlang blockiert. Welchen Handlungsspielraum haben zivile Seenotretter überhaupt noch?
Die Situation muss jetzt dringend juristisch geklärt werden. Regelmäßig verletzen Staaten mittlerweile ihre Schutzpflichten. Das ist inakzeptabel. Wir haben aber zuletzt gesehen, wie sich Sea Watch und das italienische Schiff »Mare Junio« rechtlich gegen Rom erfolgreich zur Wehr setzen konnten. Wir prüfen nun ebenfalls juristische Schritte gegen Italien. Außerdem muss geschaut werden, inwieweit Libyen der Verantwortung über eine Such- und Rettungszone überhaupt gerecht werden kann.
Rechnen Sie mit Repressionen nach Ihrer Rückkehr?
Nicht seitens der Bundesregierung. Im Dezember hatte das deutsche Verkehrsministerium klargestellt, dass mit unseren Papieren alles in Ordnung ist. Das Auswärtige Amt bestätigte uns rechtlich konformes Handeln. Auch diesmal haben wir uns an alle Gesetze gehalten.
Was wäre nun notwendig?
Ich wünsche mir erstens, dass die »Alan Kurdi« so schnell wie möglich in einen sicheren Hafen einfahren kann. Zweitens soll die Crew selbst möglichst schnell und sicher an Land kommen. Drittens wünsche ich mir Solidarität. Es darf nicht alltäglich und normal werden, dass Menschen auf dem Mittelmeer einfach so verschwinden.
Wer ist überhaupt noch im Mittelmeer aktiv, um das Verschwinden zu dokumentieren und zu verhindern?
Europa schickt keine Marineschiffe mehr, um im Mittelmeer zu helfen. Nicht mal Libyen entsendet momentan noch Boote - auch wenn man das nicht »Hilfe« nennen kann. Um Tripolis eskaliert der Bürgerkrieg, dort gibt es grade andere Probleme. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft ebenso die Frachter aktiv wegschauen werden. Das alles hält jedoch die Schlepper nicht davon ab, die Menschen weiter in Schlauchboote zu setzen. Das alles ist eine ganz entsetzliche Entwicklung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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